Der Papst belehrt uns über Demokratie
Zwischen 17. und 19. März 2022 fand im Vatikan eine Konferenz “Educating for democracy in a fragmented world”, also “Erziehung zur Demokratie in einer zerteilten Welt” statt. Über die Konferenz gibt es nicht viel Information im Web; das Programm beinhaltet Punkte wie Eucharistiefeier und eine Audienz beim “heiligen Vater”. Eher untypisch für wissenschaftliche Konferenzen. Aber die Inhalte der Vortragenden der Konferenz sind für Domradio und Kathpress sowieso nicht interessant – die Äußerungen des Papstes zur Bedrohung der Demokratie durch “Säkularismus” umso mehr.
Der vollständige Text der Ansprache ist auf der Vatikan-Presseseite auf Englisch abrufbar. Und die zitierten Aussagen sind dort tatsächlich enthalten. Der Papst, Staatsoberhaupt auf Lebenszeit in einer der letzten absolutistischen Wahlmonarchien Europas, in der nur ausgesuchte alte Männer überhaupt wählen dürfen, belehrt uns über Demokratie und versucht, Totalitarismus und “Säkularismus” durch die gemeinsame Nennung zu verbinden.
Dass totalitäre Staaten keine demokratische Gesellschaft ermöglichen, ist Trivialwissen. Durch den rhetorischen Kniff, eine offensichtliche Wahrheit und danach die Lüge zu äußern, wird versucht, kritisches Denken zu blockieren:
“I will focus on two forms of degeneration: totalitarianism and secularism. They are degenerations of democracy.” – “Säkularismus”
Was immer der Papst damit meint – ist also eine Degeneration von Demokratie. Das hat er so gesagt.
Säkularismus besteht laut Wikipedia aus zwei Elementen: Der Trennung zwischen Kirche und Staat und der Ablösung der weltlichen Macht religiöser Institutionen. Radikaler Säkularismus wäre demnach ein konsequentes, permanentes Streben nach diesen Dingen. Das bezeichnet der Papst als “ideologisch” – als ob es keine guten rationalen Gründe dafür gäbe. Angeblich schwächt dieser Prozess durchs Streichen der “transzendentalen Dimension” die Offenheit für Diskurs. Wenn es keine “letzte Wahrheit” gibt, könnten menschliche Ideen und Überzeugungen für Macht ausgenutzt oder missbraucht werden. Das bisher kam von Franziskus, das absurde Zitat über den Humanismus, der Gott ausklammert und damit inhuman wird, von seinem Vorgänger. Und dann noch zwei schwer deutbare Sätze, wieder von Franziskus oder seinen Ghostwritern, über “gesunden” und “vergifteten” Säkularismus, und wie ein “Säkularismus, der zur Ideologie wird, Demokratien vergiftet”.
Diese Aussagen klingen sehr nach Projektion. Hier werden Steine aus dem Glashaus geworfen. Der Papst ist der Vertreter des undemokratischen Staates, der seinen Einfluss auf demokratische Gesellschaften aufrechterhalten will. Er äußert abstrakte, absurde Vorwürfe gegen ein Konzept, das er damit abwerten will – und mischt mit dem Benedikt-Zitat auch noch ein ganz anderes Konzept, Humanismus, dazu, um auch das herunterzumachen, auch das ohne gute Argumente.
Dabei erklärt er nicht, wie eine “transzendente Dimension” (der Glaube an frei erfundene Dinge) die Demokratie stärken würde. Das Gegenteil ist wahr: Die Trennung von Kirche und Staat stärkt die Demokratie, indem sie demokratische, fundiert diskutierte Positionen auf- und eine Organisation mit aus der Antike und dem Mittelalter stammenden Ideen abwertet. Gleichzeitig fördert sie die Religionsfreiheit, was auch ein Kennzeichen demokratischer Staaten ist. Das alles funktioniert auch in einer Gesellschaft, in der 100 % Gläubige (mit “transzendentaler Dimension”) leben – solange sie akzeptieren, dass es eine Wirklichkeit gibt, auf die sich Politik und Demokratie stützen, und die Freiheit, an alle möglichen und unmöglichen Dinge zu glauben.
Die Ablösung der weltlichen Macht religiöser Institutionen funktioniert genauso: Sie können intern ja Demokratie praktizieren (tun sie aber nicht) und sich an den demokratischen Prozessen beteiligen, so wie alle anderen. Keine Demokratie will Katholiken das Wahlrecht wegnehmen – wohl aber Einrichtungen, die schon in der Monarchie und früher Einfluss zu ihren Gunsten gegen demokratische Entscheidungen ausübten, ihr überproportionales Mitsprache- oder Vetorecht. Gerade der Katholizismus hat sich auch im 20. Jahrhundert noch an blutige Diktaturen angeschmiegt, solange jene ihre Privilegien garantierten.
Die “letzte Wahrheit” ist eine katholische/christliche rhetorische Lüge ohne jede Basis. Jede Religion behauptet von sich, diese zu kennen, sie ist nur nie so wie bei den anderen. Bis zum Nachweis des Gegenteils gibt es die “letzte Wahrheit” nicht, und jene, die sie behaupten, sie mit Sicherheit zu kennen, lügen. Und natürlich dient die Behauptung von der “letzten Wahrheit” dazu, Diskussion im Keim zu ersticken.
Jene, die nicht anerkennen, dass Aussagen dann wahr sind, wenn ihre Wahrheit belegt wird (statt sie in einer weißer Kappe zu verkünden), schwächen die Demokratie, in der Standpunkte ausgehandelt und von der Mehrheit entschieden werden.
Humanismus hat historisch keine klare Definition. Jene, die ihn heute vertreten, verbindet jedoch, dass sie nicht an GöttInnen glauben und der Gedanke, dass der Mensch für sich selbst und andere die Verantwortung trägt und diese nicht an Fabelwesen abgeben kann. Der alte Mann im weißen Kostüm hat keineswegs die Deutungsmacht über den Humanismus und weiß sehr offensichtlich nicht, wovon er spricht. Etwas als inhuman zu bezeichnen, was das Humane als zentralen Gedanken hat, deutet stark auf eingeschränkte geistige Fähigkeiten und Hass auf etwas, was man nicht versteht, hin.
Aus diesen beiden unsinnigen Behauptungen soll irgendwie (“therein lies”) die Aussage über “gesunden und vergifteten” Säkularismus folgen. Das Oberhaupt einer ehemaligen Staatsreligion definiert jedoch nicht, was gesunder Säkularismus in einem anderen Land sei. Das entscheiden immer noch demokratische Prozesse. Die Aussage, dass aus Säkularismus, die zur Ideologie wird, wieder Säkularismus wird, ist nicht einmal verständlich. Das ist wieder Rhetorik ohne sinnvollen Inhalt – transportiert von obrigkeithörigem katholischen “Journalismus”, der an sinnvollen Inhalten nicht interessiert ist. Wie das Beziehungen und Demokratien “vergiften” soll, die zentrale Aussage, ist also komplett unbelegt.
Nichts im Lebenslauf der zwei lebenden Päpste qualifiziert diese, fundiert über Demokratie zu sprechen. Das System der Kontraselektion, in dem sie ihre Rolle erhielten, schon gar nicht. Ihre Position gibt aber ihnen und ihren hörigen Untertanen das Gefühl, aus ihrem Mund käme zu jedem beliebigen Thema wie Demokratie, Säkularität und Humanismus automatisch nur große Weisheit.
Säkularismus würde dem Vatikan gut tun. Und christliche Medien sollten, wenn schon eine Konferenz über die Erziehung zur Demokratie mit echten WissenschaftlerInnen, die Demokratie tatsächlich studiert haben, stattfindet, deren Aussagen zitieren. Nicht jene des Oberhauptes der undemokratischen Institution im undemokratischen Zwergstaat, der von Demokratie, Säkularismus und Humanismus offenkundig keine Ahnung hat.
Nur einen Tag nach der Konferenz erschien der World Happiness Report der Vereinten Nationen, mit rigorosem Methoden-Teil, öffentlichen Daten und den daraus abgeleiteten Analysen. Mehrere Aspekte, die direkt mit der demokratischen Reife einer Gesellschaft zusammenhängen, gehen in die Kennzahl ein. Aus dem Bericht geht hervor, dass die glücklichsten Gesellschaften stark säkular sind. Diese Korrelation belegt natürlich noch keine Kausation, aber jene, die uns vom Gegenteil überzeugen wollen, müssten statt Gefasel sehr überzeugende Daten bringen, die sie nun mal nicht haben.
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Ich gratuliere herzlich zur hervorragenden Analyse der unsinnigen Aussagen der beiden unfehlbaren Päpste – alte Männer, die uns über Demokratie, Humanismus und Säkularismus belehren wollen – als eine Institution, deren Syllabus errorum schon im 19. Jahrhundert Liberalismus und Religionsfreiheit verurteilt hat und in deren Schulen und Krankenhäusern trotz überwiegend staatlicher Finanzierung Konfessionslose, nach Scheidung Wiederverheiratete und offen homosexuell Lebende nicht arbeiten dürfen. Das ist die wahre katholische Demokratie.
Danke für diese relevanten Ergänzungen!