Kausea Natano, oder: Ein Land geht unter…
Ich gebe zu, den Namen habe ich vorher noch nie gehört, und ich gebe auch zu, dass das der einzige Grund war, warum ich bei dieser Mail weitergelesen habe, und auch als Freund angeredet zu werden: Wieso, ich kenne Dich nicht.
Der erste Satz hat dann alles sofort aufgehellt:
Als Premierminister von Tuvalu schreibe ich Ihnen mit einer dringenden Botschaft: Unser Land geht unter! Mein Heimatland könnte eine der ersten Nationen sein, die völlig von der Landkarte verschwindet, aufgrund des Klimawandels. Aber wir geben nicht auf. Wir werden kämpfen! In ein paar Stunden spreche ich auf dem Klimagipfel in Ägypten und fordere ein neues globales Abkommen zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen sowie die Unterstützung gefährdeter Länder bei der Bewältigung der Klimakatastrophe.
https://secure.avaaz.org/campaign/de/tuvalu_loc/?slideshow
Verknüpft mit der Bitte, sich dem weltweiten Aufruf an die Staats- und Regierungschefs der Weltklimakonferenz anzuschließen:
Liebe Staats- und Regierungschefs auf der Weltklimakonferenz (COP),
https://secure.avaaz.org/campaign/de/tuvalu_loc/?slideshow
der Klimawandel ertränkt die pazifischen Inseln.
Die Abhängigkeit der Welt von Öl, Gas und Kohle droht mit den erwärmenden Meeren unser Land langsam zu verschlingen – Stück für Stück.
Aber wir werden nicht zusehen, wie unsere Heimat von der Landkarte verschwindet!
Deshalb schließen wir uns Hunderten von Nobelpreisträger:innen und Tausenden von Wissenschaftler:innen weltweit an, um die Staats- und Regierungschefinnen der Welt aufzufordern, dem “Nichtverbreitungsvertrag Für Fossile Energien” beizutreten, um einen gerechten Übergang weg von fossilen Brennstoffen zu schaffen.
Es ist an der Zeit, Frieden mit unserem Planeten zu schließen – und den gefährdeten Nationen längst überfällige Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie zur Bewältigung der durch Klimakatastrophen verursachten Verluste und Schäden benötigen, sowie die Umweltverschmutzer zur Kasse bitten.
Es heißt, dass die Ozeane eines Tages den Ort verschlingen werden, den wir Heimat nennen. Aber ich verspreche Ihnen eines: Bis dieser Tag kommt, werden wir weiter dagegen kämpfen.
Denn wenn wir unsere Inseln retten können, können wir auch die Welt retten.
Tuvalu mo te Atua
Kausea Natano
Premierminister von Tuvalu
Tuvalu ist weit weg, verdammt weit weg. In der gedachten Linie östlich von Papua-Neuguinea und nördlich von Neuseeland, Flug über Wien -> Tokio (oder Los Angeles) -> Suva (Fiji Inseln) -> Tuvalu, schlanke 4½ Tage Flugreise, wenn man dann auf den Fiji-Inseln einen der sechs Flüge die Woche bekommt, die nach Tuvalu unterwegs sind, und insgesamt über 15.000km Luftlinie.
Ein paar Zahlen?
- 26 Quadratkilometer groß, also ungefähr so groß wie Döbling
- Döbling hat 74.000 Einwohner, Tuvalu nur 12.000.
Und als Staatsoberhaupt nur König Charles III. Das ist bitter.
Aber geht Tuvalu wirklich unter? Spektrum.de und viele andere schreiben:
Tuvalu geht nicht unter – im Gegenteil
Die Atolle des Inselstaats Tuvalu in der Südsee sollen vom steigenden Meeresspiegel überflutet werden. Doch momentan ist eher das Gegenteil der Fall: Sie wachsen.
Der Südseestaat Tuvalu gilt – neben anderen Inselnationen wie Kiribati – als potenzielles erstes Opfer des Klimawandels: Steigende Meeresspiegel könnten die flachen Atolle mittelfristig überfluten und unbewohnbar machen. Tatsächlich gehen die Pegelstände auch im Pazifik nach oben, doch zumindest droht den Eilanden nicht unmittelbar der Untergang. Das zeigt eine Studie von Paul Kench von der University of Auckland und seinen Kollegen in “Nature Communications”.
https://www.spektrum.de/news/tuvalu-geht-nicht-unter-im-gegenteil/1544559
Die Wissenschaftler werteten dazu Luft- und Satellitenbilder aus der Zeit zwischen 1971 und 2014 aus und bemerkten ein eindeutiges Muster. Acht der neun Atolle Tuvalus und drei Viertel der 101 betrachteten Inseln gewannen in dieser Zeit an Fläche, obwohl der Meeresspiegel stieg. Insgesamt nahm die Landfläche um knapp drei Prozent zu.
“Wir neigen dazu, die pazifischen Atolle als statische Landformen zu betrachten, welche einfach vom steigenden Wasser überflutet werden. Aber wir finden zunehmend Belege dafür, dass diese Inseln geologisch dynamisch sind und sich ständig verändern”, so Kench. “Der dominierende Prozess auf Tuvalu war in den letzten Jahrzehnten Wachstum, nicht Erosion.” Und das, obwohl der Meeresspiegel in der Region während der letzten Jahrzehnte mit 0,4 Millimetern pro Jahr doppelt so stark anschwoll wie im weltweiten Durchschnitt.
Dem gegenüber steht die Dynamik des Meeres: Offensichtlich sorgen Wellen und Stürme dafür, dass mehr Sediment an den Küsten abgelagert als abgetragen wird. Starke Tropenstürme, die Tuvalu allerdings eher selten treffen, können große Mengen an Material liefern, weil sie Riffe zerschlagen und die Bruchstücke im flachen Wasser ablagern. Dort werden sie dann nach und nach weiter zerkleinert und in die Küstenlinie eingebaut. Zumindest in der Vergangenheit konnten sich die Korallen von diesen Ereignissen gut erholen, und das Riff konnte wieder nachwachsen.
Das bedeute jedoch nicht, dass der Klimawandel die Inselstaaten nicht doch bedrohe, mahnen Kench und Co. Zum einen kann der steigende Meeresspiegel mehr Salzwasser in die Grundwasserspeicher der Eilande drücken. Zum anderen sorgen die Versauerung der Meere – als Nebeneffekt steigender Kohlendioxidgehalte in der Atmosphäre – sowie ihre Aufheizung dafür, dass Korallen geschwächt würden und Riffe ihrer Schutzfunktion nicht mehr nachkommen könnten. Weiterer Landzuwachs wäre dann auf Kosten zerstörter Ökosysteme erkauft. Und letztlich drohten auch häufiger schwere Stürme, welche die flachen Atolle besonders heftig treffen können.
Die Bewohner Tuvalus müssten sich folglich dennoch an die Erderwärmung anpassen, doch bliebe ihnen womöglich länger Zeit als befürchtet. Nationen wie Tuvalu oder Kiribati haben auch schon ihre Fühler in diverse Regionen ausgestreckt, wohin sie ihre Bevölkerung evakuieren könnten, wenn ihre Inseln im Meer versinken. Laut Kench und seinem Team muss diese Flucht in die Ferne jedoch wohl nicht sein, da zumindest die großen Atolle den Menschen ausreichend Schutz bieten könnten. “Landverlust ist wohl nicht der entscheidende Faktor, wenn es darum geht, Tuvalu zu entsiedeln”, meint Kench.
Der Premierminister von Tuvalu, Enele Sopoaga, zeigte sich gegenüber der “Fiji Times” nicht besonders glücklich über die Veröffentlichung. “Die Ausweitung unserer Küstenlinien bedeutet nicht, dass unsere Menschen auch wirklich mehr Lebensraum haben.” Er kritisierte die Art und Weise, wie der Bericht in “Nature Communications” veröffentlicht wurde – ohne dass einheimische Wissenschaftler dazu ihre Meinung äußern konnten. Zudem gehe der Artikel nur auf ein Problem ein, das durch den Klimawandel droht; andere Probleme, die das Leben auf den Inseln unmöglich machen könnten, übergehe er dagegen.
Erklärt Ihr mir, warum es dann solche Aufrufe gibt?
Verdient Avaaz damit Geld – 180.000 Unterzeichner in 14 Stunden sind eine Menge.
Was sind Eure Ideen?
Liebe Grüße
Andreas
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Der scheinbare Widerspruch zwischen beiden Positionen ist keiner. Es hat auch in der nahen Vergangenheit Prozesse gegeben, die zur Ausdehnung der Atolle geführt haben. Dies betrifft aber nur Flächen, die zumindest zeitweise (bei Flut) unter Wasser sind. Die mittlere Ausdehnung wächst damit aktuell – aber nur in einem Areal, das für menschliche Besiedlung ungeeignet ist, und nicht in die Höhe.
Wenn der Anstieg des Meeresspiegels jedoch exponentiell wird, wie zu erwarten ist, wissen wir, dass der entgegengesetzte Prozess (Wasser überflutet das Land) in einem messbaren Ausmaß (in Metern gemessen) schneller stärker wird.
Die Aussage des Premierministers bezieht sich auf die Zukunft. Die der Wissenschaft auf die Vergangenheit, und darauf aufbauend auf die nahe Zukunft. Das sind unterschiedliche Zeiträume.
Die Studien dokumentieren außerdem die horizontale Ausdehnung. Die Überflutung geschieht jedoch vertikal. Das sind unterschiedliche Dimensionen.
Ob Petitionen im Internet das beste Mittel gegen den Klimawandel sind, das ist eine separate Diskussion. Aus meiner Sicht ist das gut überlegte Wahlverhalten wichtiger, so wie auch der eigene private Beitrag: Strom sparen, freiwillig 100 statt 130 auf der Autobahn, Haus isolieren usw.