Rechtsradikal –
Der Versuch einer Antwort

Austria – quo vadis?

Warum schreibt Ihr eigentlich nichts über die Rechten – eine Frage, die uns immer wieder gestellt wird, ihr müsst doch mal Stellung beziehen. Vielleicht ist ein Vergleich eine gute Möglichkeit, sich dem Thema zu nähern.

Es fällt mir schwer, eine eindeutige Erklärung für die unterschiedlichen Reaktionen auf rechtsextreme Tendenzen in Österreich und Deutschland zu finden. Mehrere Faktoren spielen da wohl eine Rolle.

  1. Die politische Geschichte ist einer der Gründe. Deutschland hat aufgrund seiner Vergangenheit besonders sensibel auf rechtsextreme Ideologien reagiert, während in Österreich diese Sensibilität nicht so ausgeprägt ist.
  2. Wirtschaftliche und soziale Bedingungen spielen ebenfalls eine Rolle. Wenn Menschen mit Unsicherheiten konfrontiert, oder unzufrieden sind, so sind sie anfälliger für extremistische Ideologien und neigen damit eher zur Zustimmung zu rechtsextremen Positionen.
  3. Politische Diskurse und die Medienlandschaft besitzen großen Einfluss. Die Art und Weise, wie rechtsextreme Ansichten präsentiert werden, und wie die Öffentlichkeit darauf reagiert, wird stark von politischen und medialen Rahmenbedingungen beeinflusst.
  4. Viele Österreicher haben ein erstaunliches barockes Obrigkeitsdenken, das tief in der historischen Seele verankert ist. Davon hat sich Deutschland im 19  Jahrhundert befreit und es sind die Gerichte, die die Bürger vor Eingriffen des Staates schützen.

Die verschiedenen Reaktionen auf rechtsextreme Entwicklungen in Deutschland und Österreich lassen sich also nicht auf einen einzigen Grund zurückführen. Sie sind vielmehr das Ergebnis einer komplexen Mischung aus historischen, politischen und soziokulturellen Faktoren.

Aufgrund seiner Geschichte hatte Deutschland besonders stark mit den Folgen des Nationalsozialismus zu kämpfen. Der Holocaust und die Schrecken des Zweiten Weltkriegs führten zu einem tiefen kollektiven Bewusstsein gegenüber Rechtsextremismus und Faschismus. Deutschland setzte sich intensiv mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit auseinander, was sich in Bildung, Gedenkstätten und gesellschaftlichem Bewusstsein widerspiegelt.

Im Gegensatz dazu betrachtete sich Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit als “erstes Opfer” des Nationalsozialismus. Diese Perspektive führte zu einer weniger intensiven Auseinandersetzung mit den eigenen Verstrickungen in die nationalsozialistische Ideologie. Es dauerte lange, bis Österreich zu einer umfassenderen Selbstreflexion und kritischen Aufarbeitung seiner Rolle während des Nationalsozialismus gelangte.

Diese unterschiedlichen Herangehensweisen spiegeln sich möglicherweise in den gesellschaftlichen Dynamiken und der Sensibilität gegenüber rechtsextremen Tendenzen wider. Deutschland hat bewusst versucht, aus der Geschichte zu lernen und extremistischen Ideologien entgegenzuwirken, während Österreich bis zum Fall Waldheim (1988) und zu Vranitzkys Entschuldigung (1991) lange Zeit benötigte, sich von der Opferperspektive zu distanzieren und eine eigene Mitverantwortung anzuerkennen.

Auch die politische Landschaft in Österreich unterscheidet sich deutlich von der in Deutschland. In Österreich hatten und haben über Jahre hinweg rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme Parteien wie die FPÖ  Einfluss in den Bundesregierungen und auf verschiedenen Landesebenen. Im Gegensatz dazu zeigen in Deutschland die etablierten Parteien mehr Widerstand gegen rechtsextreme Strömungen.

In Österreich ist es auffällig, dass Teile der ÖVP sich in der politischen Landschaft als „FPÖ light” zu positionieren versuchen. Das bedeutet, dass sie in einigen politischen Bereichen, wie z.B. der Migrationsproblematik ähnlich rechte Ziele und Inhalte verfolgen wie die FPÖ, sich dabei aber gesellschaftspolitisch seriöser präsentieren. Dies führt dazu, dass rechte Ansätze verharmlost werden und in der Gesellschaft mehr Akzeptanz finden. Indem die ÖVP rechte Ideen in einer vermeintlich gemäßigteren Form präsentiert, besteht die Gefahr, dass rechtsextreme Ansichten zum Mainstream werden.

Zwischen Österreich und Deutschland gibt es auch Unterschiede in der Art und Weise, wie die Medien über rechtsextreme Entwicklungen berichten und damit die öffentliche Meinung beeinflussen. In Österreich gibt es vorwiegend eine Berichterstattung, die rechtsextreme Aktivitäten bagatellisiert oder verharmlost. Dies trägt dazu bei, dass solche Aktivitäten weniger ernst genommen oder weniger bedrohlich wahrgenommen werden. Im Gegensatz dazu klären die Medien in Deutschland stärker auf, wenn es um rechtsextreme Entwicklungen geht, was dazu beiträgt, die Öffentlichkeit besser zu informieren und für die Gefahren von Rechtsextremismus zu sensibilisieren.

Es scheint auch, dass die Bevölkerung in Deutschland möglicherweise sensibler dafür ist, die Grenzen innerhalb des demokratischen Spektrums zu erkennen. Die AfD hat sich über einen längeren Zeitraum als Partei positioniert, die politikverdrossene Menschen anspricht und eine ausländerfeindliche Haltung unterstützt, was ihr politischen Einfluss verschafft hat. Jedoch scheint nun, ausgelöst durchs Bekanntwerden eines kürzlich stattgefundenen Treffens Rechtsradikaler in Potsdam eine Grenze überschritten worden zu sein: Immer mehr Menschen lehnen den Begriff des Protestwählers ab und formulieren klar: Nazi bleibt Nazi – und da gibt es keinen Spielraum für Protest.

Die Deutschen erinnern sich möglicherweise daran, dass es einen gebürtigen Österreicher gab, der ihr Land, den Kontinent und die Welt in tödliches Verderben führte. Unter Umständen trägt dies dazu bei, dass die deutschen Bürgerinnen und Bürger aufmerksamer darauf achten, wenn politische Akteure oder Bewegungen den demokratischen Rahmen zu überschreiten scheinen. In Österreich sind viele Menschen bereit, einen politischen Führer als “Volkskanzler” zu wählen, obwohl sie sich bewusst sind, dass Hitler sich selbst so bezeichnete.

Es gibt Tausende von besorgten Menschen in Österreich, die sich mit großem Engagement gegen solche Tendenzen aktiv zur Wehr setzen, sie befinden sich allerdings in der Minderheit. Es bedarf Mut und Deutlichkeit im humanistischen politischen Diskurs, verbunden mit einer klaren Ablehnung von Faschismus und Rechtsextremismus, aber auch von ungezügeltem Populismus, sich einer Entwicklung entgegen zu stellen, die letztendlich in Unfreiheit und Verderben führt.

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Dr. Andreas Gradert

Andreas Gradert studierte Theologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Psychologie an der University of Liverpool, Wirtschaftswissenschaften am MIT und Mediation am Wifi Salzburg und bei Lis Ripke.

Seit 22 Präsident des Humanistischen Verbandes Österreich, seit 24 der giordano bruno stiftung Österreich, früher im Präsidium Lebenshilfe Salzburg, jetzt im Präsidium Atheisten Österreich , aktiv im Zentralrat der Konfessionsfreien, bei der EU Fundamental Rights Agency, den Skeptikern, den Effektive Altruisten und diversen Menschenrechtsorganisationen sowie Beirat in der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende.

3 Responses

  1. “Es gibt Tausende von besorgten Menschen in Österreich, die sich mit großem Engagement gegen solche Tendenzen aktiv zur Wehr setzen, sie befinden sich allerdings in der Minderheit.”

    Das ist glücklicherweise nicht der Fall.

    Ganz im Gegenteil: 30 % Zustimmung für die FPÖ heißt 70% Ablehnung der FPÖ. Wie wir von der Straße her wissen, ist diese Ablehnung nicht nur oberflächlich, sondern massiv. Das ganze Land ist tief gespalten in Befürworter und Ablehner. Die Ablehner sind noch die absolute Mehrheit. Danach gäbe es die Möglichkeit, eine Koalition der Demokraten vs. die anti-demokratischen Kräfte der FPÖ et.al. zu schmieden, indem die etablierten Parteien, zusammen mit den neuen Gruppierungen, eine demokratische Koalition bilden. Darin sind alle Menschen vereinigt, denen der Erhalt der Demokratie wesentlich wichtiger ist, als kleingeistige parteipolitische Differenzierungen herkömmlichen Stils (Erhalt des Bargeldes, Abschaffung des Genderns etc.).

    Dem könnte man sogar mittels eines neuen Wahlrechtes gerecht werden, indem man – wie im journalistischen Bereich – den Vertrauensindex ermittelt, also die Differenz zwischen Vertrauen und Misstrauen für eine Gruppierung, eine wesentlich aussagekräftigere Zahl als die Stimmen für einen Kandidaten. Derzeit darf man im herkömmlichen Wahlrecht nur Vertrauen ausdrücken, was dem sog. “taktischen Wählen” Tür und Tor öffnet und die Wahlenthaltung fördert. Ein solches Wahlrecht mit negativem Voting neben den positiven Stimmen wäre das Aus für Extremismus, weil alle Moderaten ihn abwählen würden. Leider ist es jetzt zu spät.

    Von den verantwortlichen Politikwissenschaftlern hat man noch nie Vorschläge über Alternativen gehört, offenbar sind sie mit dem derzeitigen Modell recht zufrieden, obwohl das gegenwärtige Wahlrecht in den Grundzügen schon sehr alt ist, ja vielleicht schon überholt ist. So könnte es passieren, dass der in wöchentlichen Umfragen von Zeitungen bei weitem unbeliebteste Politiker (neben NR.Präsident Sobotka) mit dem geringsten Vertrauen der Bevölkerung zum Kanzler, nach eigenen Vorstellungen sogar zum “Volkskanzler” gewählt wird.

    Welch ein Irrsinn, in den wir sehenden Auges hineinrasen!

  2. Ja, der Vertrauensindex ist eine gute Sache.

    Die OGM research & communication GmbH hat ihren letzten hier veröffentlich, Statista stellt einen solchen regelmäßig vor, hier der Link zum letzten.

    Doch wie bekommen wir den Link zwischen den Meinungsaufzeichnern wie OGM und statista hin? Wen bestimmen wir zur offiziellen Erstellung des Vertrauensindex, wie verhindern wir, dass jenes Institut dann dem Ruf des Geldes folgt und sich von gut kapitalisierten Parteien kaufen lässt.

    Meine Ansicht nach nur über ein fortwährendes Aufrütteln der Bevölkerung, und ein Aufzeigen, wohin dieser Irrsinn führen wird. Ja, das Wahlrecht hat Fehler, hat Lücken, und schon immer haben die, die am lautesten schreien konnten – oder haben schreien lassen – das Recht auf ihrer Seite gehabt. Doch wir Menschen sind keine Weißkopf-Sakis und können uns keine Einstein-Einstellung leisten.

    Wir können auch das Wahlrecht bis zur Wahl nicht ändern, also erheben wir unsere Stimme – und das haben jetzt schon viele gemacht.

    Sehr differenziert betrachtet diese Problematik übrigens der österreichische Schriftsteller Daniel Wisser in diesem Artikel hier. So ein Artikel tut mir gut.

  3. Möglicherweise übersehene Faktoren für Rechtsradikalismus ist eine gewissen Vernachlässigung als Kind und die damit verbundene Sehnsucht nach Sichtbarkeit (Bedeutsamkeit). Der Sozialpsychologe Arie Kruglanski hat dazu publiziert. LG K. Stickler

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