„RASSE“- Warum der Begriff endlich aus den Verfassungen getilgt werden sollte und warum es die Politik verabsäumt

Im Februar berichtete die Tagesschau, dass die Ampelkoalition in Deutschland ihre Bestrebungen aufgegeben habe, das Wort „Rasse“ aus dem deutschen Grundgesetz zu entfernen. Auch in den Verfassungen Österreichs, der Schweiz und Frankreichs ist der Begriff noch immer verankert, und eine rasche Änderung ist nicht absehbar. Dies trotz der weitgehenden Übereinstimmung in der westlichen Welt, dass die Vorstellung verschiedener Menschenrassen wissenschaftlich widerlegt ist. Wo also liegt das Problem, und wie kann es angegangen werden?

Wissenschaftliche Einwände gegen den Begriff der Rasse

In aufgeladenen Diskussionsrunden äußern Personen, die auf den ersten Blick weder „Rassenhass“, Xenophobie noch Antisemitismus zu vertreten scheinen, mit großer Leidenschaft ihren Ärger darüber, dass eine als extrem woke angesehene Gesellschaft die freie Meinungsäußerung unterdrückt. Sie argumentieren, dass es offensichtlich sei, dass Menschen regionale Unterschiede aufweisen, und daher sei es unverständlich, warum der Begriff „Rasse“ nicht mehr akzeptiert werde. Diese Menschen lehnen es nicht ab, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln, sondern sind lediglich von der Existenz unterschiedlicher Menschenrassen überzeugt. Es ist kontraproduktiv und unangebracht, sie pauschal als schlimme Rassisten zu bezeichnen. Ihnen geht es in den meisten Fällen um deutlich sichtbare körperliche Unterschiede oder divergierende kulturelle Traditionen und Praktiken, die ihrer Meinung nach von einer ideologisch geprägten Gesellschaft zu Unrecht ignoriert werden. Hingegen wollen echte Rassisten andere Menschen, von denen sie sich abgrenzen, schlechter behandeln oder gar entmenschlichen. Dieser primitive Rassismus ist ein destruktives Krebsgeschwür, das sich allein durch klärende Worte nicht mehr heilen lässt – hier sind Polizei, Staatsanwaltschaften und Strafrichter gefordert.

Dieser Beitrag zielt jedoch darauf ab, den Rassebegriff zu beleuchten, wie er von wohlmeinenden Menschen und in Verfassungen verwendet wird, um „rassische“ Diskriminierung zu verhindern. Es ist nämlich ein Paradoxon: Ein Begriff, der die Diskriminierung verhindern soll, trägt selbst den Keim der Diskriminierung in sich. Es bedarf offenbar eines politischen und juristischen Kraftakts, um diesen Begriff endgültig auszurotten und gleichzeitig das Diskriminierungsverbot beizubehalten.

Fakten, die Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen in Studien erhoben haben und die die Annahme von Menschenrassen ad absurdum führen, sind beispielhaft folgende:

  • „Sterilitas Inter Specificas“-Argument: Tiere zweier Arten können keine zeugungsfähigen Nachkommen zeugen. Zum Beispiel können Pferd und Esel zu Maultieren und Mauleseln gekreuzt werden, diese sind jedoch in der Regel infertil. Der Homo sapiens hingegen ist die einzige existierende Art der Gattung Homo, die wir kennen. Alle Menschen können sich uneingeschränkt paaren und fruchtbare Nachkommen zeugen, was die Einheit unserer Spezies belegt.
  • „Adaptationes Loci“ “-Argument: Die ins Auge springenden physiologischen Merkmale wie etwa Hautfarbe, Körpergröße, Haarstruktur sind Anpassungen an spezifische Umweltbedingungen. Neben den äußeren Anpassungen sind auch umweltindizierte Anpassungen bekannt, die nicht auf dem ersten Blick sichtbar sind, wie zum Beispiel Resistenzen gegen lokale Krankheiten, Lungengröße oder Laktoseintoleranz. Alle Merkmale mutieren graduell mit schrittweisem geographischem Wechsel. Bemerkenswert: Auch die Bewohner Mitteleuropas waren einst stark pigmentiert. Die Depigmentierung der Hautfarbe in nördlichen Breiten hat sich erst in den letzten etwa 5000 Jahren manifestiert.
  • Nulla Correlatio inter Physiologiam et Cognitionem“-Argument: Hautfarbe, Haare und Schädelformen, etc. korrelieren in keiner Weise nachweisbar mit kognitiven Eigenschaften, Persönlichkeitsmerkmalen oder Verhaltensweisen.
  • „Nulla Correlatio inter Intellectum et Geographia“-Argument: Ein Zusammenhang zwischen Intelligenz und geographischer Herkunft ist wissenschaftlich nicht belegbar.
  • „Origines Africanae“-Argument: Genetiker haben entschlüsselt: Unsere Spezies, der Homo sapiens, entwickelte sich auf dem afrikanischen Kontinent. Im Grunde sind alle heute lebenden Menschen nach ihrem Ursprung Afrikaner.
  • „Mutationes Geneticae“-Argument: Wie bei jeder Spezies finden auch beim Menschen genetische Veränderungen als Ergebnis zufälliger Mutationen statt. Gelegentlich erwies sich eine Mutation in einer neuen Umgebung als vorteilhaft. Diese vorteilhaften Änderungen wurden über Generationen vererbt, und je länger Gruppen isoliert waren, desto ausgeprägter sind die genetischen Unterschiede. Es gibt jedoch kein einziges Gen, das „rassische“ Unterschiede begründet. Tatsächlich zeigt das menschliche Genom, dass unter den 3,2 Milliarden Basenpaaren kein einziges Basenpaar existiert, das Afrikaner von Nicht-Afrikanern trennt.
  • „Varietas Genetica intra Populos“Argument: Studien zeigen, dass die genetische Variation innerhalb von Bevölkerungsgruppen oft größer ist als die Variation zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Mit anderen Worten, es gibt mehr genetische Unterschiede innerhalb einer bestimmten Bevölkerungsgruppe als zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Dies untergräbt ein weiteres Mal die Idee, dass Menschen in diskrete und klar abgegrenzte „Rassen“ eingeteilt werden können.

Weiterführende Ausführungen der Zoologen, Humanbiologen und Evolutionsforscher finden sich zum Beispiel in der Jenaer Erklärung von 2019 und auf NationalGeographic.de.

Warum der Begriff der Rasse aus der Verfassung gestrichen werden sollte

In der Geschichte wurde der Begriff der Rasse missbraucht, um Macht über andere Völker zu legitimieren und Ausbeutung zu rechtfertigen. Diese dunkle Vergangenheit sind wir uns alle bewusst und bedarf keiner ausführlichen Erklärung.

Heutzutage äußert sich Rassismus oft in subtiler Form, die nicht sofort ins Auge fällt. Anderseits betonen Psychologen, dass rassistische Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen tief in der menschlichen Psyche verwurzelt sind. Gewiss, ein Mensch besteht aus positiven und negativen Gefühlen. Furcht vor dem Neuen, Hass auf bedrohlich wirkende Veränderungen werden sich auch in Zukunft in Rassismen äußern. Die Jenaer Erklärung bekräftigt diese Ansicht: „Eine bloße Streichung des Wortes ‚Rasse‘ aus unserem Sprachgebrauch wird Intoleranz und Rassismus nicht verhindern.“

Den Verfassern der Jenaer Erklärung ist zuzustimmen, aber dennoch führt kein Weg an der Eliminierung des Wortes „Rasse“ aus den Verfassungstexten vorbei. Es ist ein notwendiges Symbol dafür, dass eine Gesellschaft sich dazu entschlossen hat, solche Phänomene zu unterdrücken, weil sie ungerecht, menschenverachtend und schädlich sind. Wissenschaftler*innen haben nachgewiesen, dass das Konzept der Rasse das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung ist. Nunmehr muss die Politik dafür Sorge leisten, dass der Begriff kompromisslos dort eliminiert wird, wo er noch Verwendung findet.

Über das Scheitern der Verfassungsänderung in Deutschland

Wenn die Europäische Menschenrechtskonvention (siehe Artikel 14) einschließlich Protokoll Nr. 12 über die Diskriminierung (siehe Artikel 1), die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (siehe Artikel 21), die österreichische Bundesverfassung (siehe Artikel 14 Absatz 6), das deutsche Grundgesetz (siehe Artikel 3 Absatz 3), die Verfassung der V. Republik Frankreichs (siehe Artikel 1.) oder die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (siehe Artikel 8 Absatz 2) den Begriff „Rasse“ verwenden, dann geschieht dies in guter Absicht. Diskriminierungen sollen verhindert, nicht gefördert werden. Diese löbliche Zielsetzung ist offenkundig und unleugbar. Aber muss man wirklich den Begriff „Rasse“ verwenden, um „rassische“ Diskriminierungen zu verhindern?

Warum hat die deutsche Regierung ihr Vorhaben, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen, aufgegeben? Einem Bericht der Tagesschau zufolge wurde dies aufgrund des Widerstands des Zentralrats der Juden getan, der argumentierte, dass das Wort an die Verfolgung und Ermordung von Millionen Juden erinnere: „Streichen wir diese Erinnerung aus unserer Verfassung, werden wir sie irgendwann auch aus unserem Gedächtnis streichen

Es steht außer Frage, dass das Judentum unter dem Rassebegriff historisch am meisten gelitten hat. Jüd*innen verdienen es daher, in dieser Frage angehört zu werden. Dennoch bedeutet die Bedachtnahme auf vergangenes Unrecht nicht, dass die politische Verantwortung für Verfassungsgesetze auf eine religiöse Gruppe übertragen werden darf. Die Bedenken aller diskriminierten Gruppen sollten geprüft werden, nicht nur die einer einzelnen. Der Hass gegen das jüdische Volk besteht leider immer noch, aber mit den Migrationswellen sind neue Formen des Rassismus entstanden. Menschen aus verschiedenen Regionen sind heute gleichermaßen, wenn nicht stärker, rassistischen Anfeindungen ausgesetzt.

Wenn es also wahr ist, dass die deutsche Ampelregierung allein aufgrund des Widerstands des Zentralrats der Juden ihre Pläne zur Änderung des Grundgesetzes aufgegeben hat, so war dies ein törichtes Vorgehen. Politiker sollten nicht nur auf eine Stimme hören, sondern Vertreter aller Opfergruppen anhören und ihre Bedenken berücksichtigen. Die Entscheidung der deutschen Regierung, das wichtige Vorhaben eigenmächtig zu beenden, zeigt einen Mangel an demokratischem Prozess und Ignoranz gegenüber andere Rassismusopfer. Es ist unklar, ob andere diskriminierte Gruppen sich dem jüdischen Vertreter angeschlossen hätten, aber dies hätte in einer offenen Debatte herausgefunden werden sollen, nicht durch eine einsame Femegericht-Entscheidung.

Wie könnte eine Ersatzformulierung ausschauen?

Es ist bedauerlich, jedoch in gewisser Weise nachvollziehbar, dass weder die Europäische Menschenrechtskonvention noch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union wegen eines einzelnen Begriffs überarbeitet werden. Auf internationaler Ebene könnten derartige Änderungen oft nur zum Preis der Öffnung der Büchse der Pandora umgesetzt werden, was zu neuen Komplikationen führt. Daher erscheint es vernünftiger, vorerst mit dem Unbehagen zu leben, als die Situation zu verschlimmern. Und doch: Europarechtsjurist*innen und Politiker*innen sollten den Begriff der Rasse im Focus behalten und den Druck kontinuierlich steigern, damit es mittelfristig auch auf internationaler Ebene zur Tilgung des Begriffs kommt.

Auf nationaler Ebene gestaltet sich die Situation ganz anders. Auch in Staaten, die nicht von links-grün-gelben Regierungen geleitet werden, wurden in den letzten Jahren Verfassungsänderungen in Erwägung gezogen, jedoch nicht umgesetzt. Dafür gibt es keine Entschuldigung!

Doch es ist auch Selbstkritik angesagt: Selbst im gegenständlichen Blogbeitrag über Rassismus wird der Begriff „Rasse“ verwendet, um Rassismus zu diskreditieren, wenngleich stets nur in Anführungszeichen. Was in Populärschriften kein Problem darstellt, ist in Rechtstexten undenkbar. Insbesondere Verfassungstexte in Gänsefüßchen muten als ein Versagen der formulierenden Verfassungsjurist*innen an.

Es ist schwierig, eine passende Ersatzformulierung zu finden, aber eine unlösbare Aufgabe ist es nicht. Man kann zum Beispiel auf eine Diskriminierung wegen der Abstammung oder der Zugehörigkeit zu einer kulturellen Gruppe abstellen. Wenn diese Formulierungen zu unscharf sind oder als ungenügend angesehen werden, gibt es immer noch die Möglichkeit in „Erläuternden Bemerkungen“ die Gesetzesänderung zu erklären. In einem solchen Motivenbericht kann auf die Vorfassung verwiesen werden und die Gründe für die nicht sinnverändernden Formulierungsänderungen sind umfänglich darzulegen. All dies, ist übliches Handwerkszeug der Legisten, fähige Verfassungsjurist*innen schaffen das.

Fazit

Das Versagen der Politik, diesen Begriff aus den Verfassungen zu streichen, ist ein großes Ärgernis, insbesondere angesichts der deutlichen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Konsens über seine Ablehnung. Die Ignoranz gegenüber den wissenschaftlichen Erkenntnissen und die Weigerung, den Begriff zu eliminieren, lassen Zweifel an der Ernsthaftigkeit politischer Verantwortung aufkommen. Es ist längstens an der Zeit, dass die Politik die Lähmung überwindet und den Mut aufbringt, diesen veralteten und schädlichen Begriff endgültig aus den Verfassungen zu tilgen. Es ist nicht nur eine Frage der wissenschaftlichen Genauigkeit, sondern auch der moralischen Integrität und des Respekts gegenüber allen Menschen.

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Dr. Clemens Lintschinger

Autor in humanistischen und atheistischen Themenwelten, glühender Verfechter der unmittelbaren Demokratie, Gegner von linken, rechten und christlichen Ideologien

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1 Response

  1. Wilfried Apfalter sagt:

    Danke, lieber Clemens, für diesen informativen Artikel!

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