Amed Sherwan | Kafir

Amed Sherwan ist vieles: Flüchtling, LGTBIQ-Aktivist und einer der bekanntesten Atheisten und Ex-Muslime Deutschlands. Im Alter von 15 Jahren wird sein Glaube an den Koran und einen allmächtigen Gott durch Beiträge auf Facebook erschüttert. Seine Zweifel wachsen so sehr, dass er eines Nachts heimlich einige Seiten des Korans anzündet. Einige Zeit später erklärt er sich zum Atheisten. Damit beginnt sein Leidensweg, den er in seiner Autobiographie Kafir: Allah sei Dank bin ich Atheist festgehalten hat.

Frühes Leben

Ahmed wurde im Oktober 1998 in Erbil im irakischen Kurdistan in eine religiöse Familie geboren. Zu Hause war Ahmed ein fleißiges Kind, das entgegen allen gesellschaftlichen Normen seiner Mutter und seiner Schwester gerne im Haushalt und beim Kochen half. Ahmeds Interesse galt zunächst dem Koran, den Hadithen und anderen religiösen Schriften. Ahmed lernte fleißig Arabisch und konnte in der Schule bei religiösen Themen glänzen.

Schon als Kind fiel er als Unruhestifter auf, der nie still sitzen konnte, unkonzentriert wirkte und in seiner Umgebung für Ärger sorgte. Gleichzeitig wurde er sozial immer auffälliger, andere Mitschüler schlugen und schikanierten ihn regelmäßig. Da die medizinische Infrastruktur in der kurdischen Region durch den Irak-Krieg in Mitleidenschaft gezogen wurde, konnte seine ADHS-Erkrankung nicht diagnostiziert und behandelt werden.

Der Bruch

Das ADHS wurde immer schlimmer. Ahmed war 11 Jahre alt und seine Noten wurden immer schlechter. Er bekam immer mehr Ärger in der Schule und zu Hause. Seine Mutter reagierte mit Mitleid, sein Vater mit Schlägen.

Da Frau Sherwan streng gläubig war, wollte sie Ahmed mit der Kraft Allahs heilen. Für diese Heilung fuhren Ahmed, seine Mutter und ein Onkel in die Moschee. Dort wurde Ahmed gewaltsam zu Boden gedrückt und seine Schuhe ausgezogen. Der Iman schlug ihm mit einem Holzstock auf die nackten Sohlen, er hämmerte ihm auf die jungenhafte Brust ein, bis Ahmed vor Schmerzen weinte und aufschrie. Der Exorzismus dauerte eine Ewigkeit, bis der Körper vom bösen Djinn befreit war.

Durch dieses Trauma zog sich Ahmed immer weiter zurück, die Konflikte mit seinem Vater wurden zahlreicher. Zu seiner Mutter hatte Ahmed jedes Vertrauen verloren. Zum Zeitvertreib entdeckte er Facebook für sich. Nach ersten Beiträgen, die rasch an Popularität gewannen, stieß er beim Surfen immer öfter auf Texte von Kacem El Ghazzali und zahlreiche islamkritische Bücher. Viele der Bücher waren im Irak verboten und er las diese heimlich auf seinem Laptop.

Ahmed distanzierte sich zunächst nur langsam innerlich vom Islam. An einem Abend wagte er die Mutprobe. Mit einer Ausgabe des Koran in der einen und einem Feuerzeug in der anderen Hand, stieg es auf das Dach seines Elternhauses. Dort versteckte er sich in einer Nische und probierte das Buch anzuzünden. War Allah wirklich so allmächtig, dass er diesen Frevel sofort beenden und den Ungläubigen auf der Stelle bestrafen würde? Nichts geschah, das Papier brannte überaus schlecht, kein Blitz fuhr vom Himmel und Ahmed lebte weiter.

Allah sei Dank bin ich Atheist

Einige Zeit später schrieb er darüber auf Facebook. Ahmed erklärte seine Abkehr vom Glauben und bezeichnete sich selbst als Atheisten. Mehrere Nachbarn erzählten Herr Sherwan von seinem abtrünnigen Sohn. In seiner Ehre gekränkt, konfrontierte er Ahmed.

Da alle Ermahnungen und Schläge bisher keine Wirkung zeigten, beschloss Herr Sherwan seinen eigenen Sohn bei der Polizei anzuzeigen.

Mitten in der Nacht wurde Ahmed im Pyjama verhaftet und auf die Polizeistation gebracht. Dort wurde er von mehreren Polizeibeamten verprügelt, mit Elektroschocks und Peitschen gefoltert. Es wurde alles unternommen, um ihn für seine Abkehr von Allah zu brechen und zu bestrafen.

Im Nachgang fingierten die Beamten einen Vorsatz für die willkürliche Verhaftung und Misshandlung eines Minderjährigen. Ahmed wurde zunächst wegen Gotteslästerung, dann wegen Widerstandes gegen Beamte bei seiner Festnahme angeklagt. Die Behörden stellten ihm sogar ein Entschuldigungsschreiben für die Schule aus.

Ahmed verbrachte mehrere Tage im Jugendgefängnis, wo er ebenfalls von den Mitgefangenen misshandelt wurde.

Doch Ahmed hatte Glück und einen engagierten Anwalt auf seiner Seite. Aufgrund seines geringen Alters erhielt der Fall größere mediale Aufmerksamkeit. Einige Tage später bezahlte sein in Deutschland lebender Onkel eine Kaution und Ahmed kam wieder frei. Aufgrund der sozialen und politischen Wellen, die sein Fall geschlagen hatte, konnte er nicht mehr sicher im Irak leben.

Um ihn vor dem Tod zu bewahren, bezahlten seine Verwandten Schleuser, die ihn über die Türkei, Bulgarien und Wien bis nach Deutschland brachten.

Seit diesen traumatischen Erlebnissen nennt er sich Amed.

Einigkeit und Recht und Freiheit

In Flensburg, wo Amed seit 2014 lebt, stellte er einen Antrag auf Asyl, der 2017 aufgrund begründeter Furcht vor Verfolgung im Irak bewilligt wurde. In dieser Zeit durchlitt er unzählige Krisen. Amed hatte Drogenprobleme, Suizidgedanken und litt an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Gleichzeitig wechselte er regelmäßig seine ADHS-Medikamente, da alle Nebenwirkungen bei ihm auftraten und er sich noch mehr in Drogen flüchtete. Zusätzlich wurde Amed zum Posterboy der Rechten, die ihn als richtigen Flüchtling feierten.

Bald distanzierte sich Amed von allen rechtsextremen Vereinnahmungsversuchen und fand gleichzeitig seine Lebensaufgabe. Dank seiner hervorragenden Arabischkenntnisse arbeitete er als Dolmetscher und Flüchtlingshelfer. Über seine Arbeit schrieb er in der Zeitung “Moin Flensburg” und erlangte regionale Bekanntheit.

Weiterhin schrieb er auf Facebook über sein Leben und stellte immer mehr das patriarchalische und rückständige Bild des Islam zu Homosexuellen und Frauen in Frage. Amed eckte mit seinen Aussagen und Aktionen immer wieder in der islamischen Community an.

Amed Sherwan. Foto: Amed Sherwan / Twitter
Amed Sherwan. Foto: Amed Sherwan / Twitter

Unter anderem erlangte er internationale Bekanntheit durch folgende Aktionen: 

Fotomontage von Amed Sherwan und Mohamed Hisham. Foto: amed sherwan / CC BY-SA 4.0
Fotomontage von Amed Sherwan und Mohamed Hisham. Foto: amed sherwan / CC BY-SA 4.0

Diese und weitere Internetbeiträge wurden in kürzester Zeit von wütenden Muslimen weltweit gemeldet und auf den Plattformen Facebook und Instagram gesperrt. Sogar der IS sprach eine Morddrohung gegen ihn aus. Die Anfeindungen wurden so schlimm, das sich Ameds Familie von ihm distanzierte, sein eigener Cousin eine Morddrohung gegen ihn aussprach und er sowohl von rechts als auch von Muslimen unterschiedlichsten Anfeindungen ausgesetzt war.

Amed ließ sich von allen Anfeindungen und Bedrohungen alles andere als einschüchtern und ging in die Offensive. Er ist weiterhin stolzer Unterstützer des Zentralrats der Ex-Muslime, setzt sich als Aktivist für LGBTQ ein und unterstützt die Gesellschaft als selbsternanntes Flüchtlingsgesicht.

Im März 2021 klagte Amed gegen Facebook wegen der Sperrung der Fotomontage. Das Landgericht Flensburg hat ihm in seinem Streit mit Facebook Recht gegeben. Anlass für die Klage war die Sperrung des bei Facebook und Instagram geteilten Bildes. Auf dem verbotenen Bild ist neben Amed auch der Aktivist Mohamed Hisham zu sehen. Unterstützt wurde Sherwan von der giordano bruno stiftung (gbs) und dem Institut für Weltanschauungsrecht (ifw).


Begriffserklärungen:

Kafir: das arabische Wort bedeutet Ungläubiger oder Nicht-Muslim. Es gibt drei Arten von Ungläubigen:

  • Personen mit eingeschränkten Rechten, die jedoch geschützt unter islamischer Herrschaft leben,
  • Personen ohne Rechte, auch ohne Recht auf Leben, die außerhalb des islamischen Herrschaftsgebiets leben,
  • Personen, denen durch einen zeitweiligen Schutzvertrag ähnliche Rechte gewährt werden wie in Punkt 1, damit sie das islamische Herrschaftsgebiet betreten können.
    Dieser Status ist immer zeitlich begrenzt.

Weitere Informationen unter https://islam-ist.de/islamische-begriffe/kafir/

Hadith: bezeichnet die Überlieferung von Aussprüchen und Handlungen des islamischen Propheten Mohammed sowie von Aussprüchen und Handlungen Dritter, die dieser stillschweigend gebilligt haben soll. Die große Bedeutung der Hadithe ergibt sich daraus, dass die Handlungsweise (Sunna) des Propheten normativen Charakter hat. Die Hadithe stellen neben dem Koran die zweite Quelle der islamischen Normenlehre dar.

Weitere Informationen unter https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/islam-lexikon/21426/hadith/

Dschinn: sind nach islamischer Vorstellung aus „rauchlosem Feuer“ erschaffene Geistwesen. Sie besitzen Verstand und bevölkern neben Menschen, Satanen und Engeln mit anderen Dschinn die Welt. Nur in Ausnahmesituationen werden Dschinn für Menschen sichtbar. Weit verbreitet ist die Vorstellung, Dschinn könnten in die Körper von Menschen fahren und sie in den Wahnsinn treiben.

Weitere Informationen unter https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/islam-lexikon/21374/dschinn/


Weiterführende Informationen:

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Peter Jaglo

Peter Jaglo studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Offenburg und Master of Business Administration an der Hochschule Koblenz. Seit 2024 ist er für die Social Media Aktivitäten des HVÖ verantwortlich, ebenso für die Treffen des HVÖ Landesverband Vorarlberg. Seit mehreren Jahren ist er im Bereich Umweltschutz aktiv und unterstützt verschiedene Menschenrechtsorganisationen.

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