Projektion säkularer Macht in zukünftige Wahlen

Eine Analyse des Wahlverhaltens der amerikanischen säkularen Bevölkerung

In seiner Expertise kommt der Politologe Juhem Navarro-Rivera zu folgendem Schluss: Es lässt sich prognostizieren, dass säkulare Wähler, die bereits gegenwärtig einen maßgeblichen Einfluss ausüben, bei den kommenden US-Wahlen die entscheidende Stimme darstellen werden.


Das allgemeine Wahlverhalten der säkularen Wählerschaft ist inzwischen hinlänglich erforscht und dokumentiert. Diese Wählergruppe neigt den Demokraten zu. Dies lässt sich für jede Präsidentschaftswahl seit 1980 beobachten. Die Gruppe derjenigen, die sich als nicht religiös bezeichnen, stellt eine wesentliche Komponente der Wählerschaft dar. Es lässt sich konstatieren, dass die Kandidierenden der Demokratischen Partei gegenüber den Kandidierenden der Republikanischen Partei unterstützt wurden.

Auch die Wahlen des Jahres 2020 bildeten diesbezüglich keine Ausnahme. Im Jahr 2020 zeigen die Ergebnisse der National Exit Poll, dass 65 % der säkularen Wähler Joseph R. Biden, den Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei, und 31 % Donald J. Trump, den Amtsinhaber der Republikaner, unterstützten. Diese Zahlen entsprechen denjenigen der Vorjahre.

Die  im Rahmen einer Studie von AP/NORC Votecast erhobenen und von der Associated Press und dem National Opinion Research Center durchgeführte Studie erzielte ähnliche Resultate. Im Rahmen dieser groß angelegten Studie wurden über 100.000 Wählerinnen und Wähler während des Wahlzeitraums 2020 (von der vorzeitigen Stimmabgabe bis zum Wahltag) befragt. Die Daten der AP/NORC Votecast-Umfrage sind ebenfalls öffentlich verfügbar. Der Umfang der Stichprobe umfasst über 30.000 säkulare Befragte. Dadurch ist es möglich, die Gruppe der säkularen Wähler auf eine detailliertere Weise aufzuschlüsseln, als dies bei der traditionellen Exit-Poll-Umfrage der Fall ist.

Im Folgenden soll dargelegt werden, dass die säkulare Wählergruppe in der religiösen Landschaft des Landes ein einzigartiges Phänomen darstellt.

Im Folgenden werden zunächst einige grundlegende Fakten über die säkularen Wähler präsentiert. Darauf aufbauend wird die Abstimmung der säkularen Wähler bei den Präsidentschaftswahlen 2020 dargelegt, ein Vergleich mit anderen Wählergruppen angestellt und der Einfluss der säkularen Wähler auf die Koalitionen der beiden großen Parteien aufgezeigt.

Eine Analyse der Wahldaten legt nahe, dass säkulare Wähler eine wesentliche Rolle im Kulturkampf einnehmen und dass ihre Bedeutung bei künftigen Wahlen weiter zunehmen wird.

Die am stärksten den Demokraten zugeneigte religiöse Wählergruppe

Die Abbildung 1 präsentiert die Ergebnisse der Wahlanalyse hinsichtlich der religiösen Wählergruppe im Jahr 2020. Die Daten sind gemäß ihrem Anteil an den abgegebenen Stimmen für Biden sortiert. Die säkularen Wähler finden sich aufgrund ihrer signifikant stärkeren Präferenz für die Demokraten in der linken Hälfte der Grafik wieder. Es lässt sich konstatieren, dass sich nahezu drei Viertel (72 %) der säkularen Wähler für den ehemaligen Vizepräsidenten Biden als Kandidaten für das Weiße Haus aussprachen. Die Unterstützung jüdischer Wähler für den demokratischen Kandidaten erreichte mit einem Anteil von 69 Prozent nahezu das Niveau der säkularen Wählergruppe. Die übrigen religiösen Gruppen, die sich für die demokratische Kandidatur aussprachen, setzten sich aus Muslimen (64 %) und Personen zusammen, die sich mit anderen Religionen identifizieren (“etwas anderes”, 61 %).

Die Analyse der Unterstützung für die beiden Kandidaten der großen Parteien durch die Gruppe der Katholiken ergibt ein nahezu gleichmäßiges Bild. Hinsichtlich der Wiederwahl von Donald Trump lässt sich festhalten, dass 50 % der katholischen Wählerinnen und Wähler für Trump votierten, während 49 % sich für Biden aussprachen. Bei den drei verbleibenden, in der Analyse betrachteten, großen Gruppen, allesamt christlichen Glaubens, überwog die Anzahl derjenigen, die Trump unterstützten. Von denjenigen Christen, die sich nicht als wiedergeborene Christen bezeichnen, stimmten 57 % für Trump. Des Weiteren gaben mehr als zwei Drittel der wiedergeborenen Christen (68 %) und Mormonen (71 %) ihre Stimme für Trump ab.

In einer zusammenfassenden Betrachtung lässt sich feststellen, dass

  • die Wählergruppe, die mehrheitlich für Biden stimmten, keine Christen waren, während
  • die Wählergruppe, die mehrheitlich für Trump stimmten, aus Christen bestanden.
Die zweitgrößte den Demokraten zugeneigte Wählergruppe

Auf drei religiöse Gruppen entfielen 86 % aller Wähler, die an der Umfrage teilnahmen. Christen/Protestanten machen 43 % aus, was im Wesentlichen der Größe der Katholiken (22 %) und der Dies entspricht einem Anteil von 21 % an denjenigen, die sich zum Säkularen bekennen. Somit lässt sich konstatieren, dass die Anhänger des Christentums mit einem Anteil von nahezu zwei Dritteln (66 %) die größte Gruppe unter den Wählern darstellen. Zusätzlich zu den 65 % der Christen/sonstigen Protestanten und Katholiken bezeichnete sich ein weiteres Prozent als Mormone.

Eine bessere Veranschaulichung der christlichen/nichtchristlichen Verteilung der Stimmen bietet Abbildung 2, welche die religiöse Verteilung der Koalitionen von Biden und Trump darstellt. Die roten Balken repräsentieren die drei Gruppen von Wählern, die sich selbst als Christen identifizieren und ihre Stimme Trump gaben, während die blauen Balken die nicht-christlichen Gruppen zeigen, die sich für Biden aussprachen. Die Kategorie “andere Religionen” ist gelb eingefärbt, da diese Gruppe eine Mischung aus verschiedenen Antworten darstellt, die in einigen Punkten übereinstimmen können, in anderen jedoch nicht.

Aufgrund einer besonderen Art und Weise, wie die Frage in dem verwendeten Fragebogen gestellt wurde, war es nicht möglich, den Anteil der wiedergeborenen Christen in den Parteikoalitionen für diese Zahl zu berechnen. Anstatt die befragten Protestanten und anderen Christen direkt zu fragen, ob sie sich als “wiedergeborene oder evangelikale Christen” bezeichnen, wurde diese Frage einem Viertel der Befragten zufällig zugewiesen. Dies impliziert, dass die Umfrage auch nicht-christliche religiöse, katholische und säkulare Befragte umfasst, die sich als “wiedergeboren” bezeichnen. Im Rahmen der Analyse in Abbildung 1 werden lediglich diejenigen als “wiedergeboren” kategorisiert, die sich als Christen oder Protestanten bezeichnen.

Die drei größten Balken repräsentieren die Christen/Protestanten, die Katholiken und die Säkularen. Wie aus Abbildung 1 ersichtlich ist, hatte keine der drei Gruppen den gleichen Einfluss auf die jeweiligen Koalitionen der Kandidaten, da die Stimmenverteilung für Trump unter den christlichen Wählern ungleichmäßig war.

Obschon sich etwa 66 % der Wählerschaft als Christen bezeichneten, wobei hierunter Protestanten, andere Christen, Katholiken sowie Mormonen subsumiert sind, waren acht von zehn Trump-Wählern (80 %) Christen. Die Mehrheit derjenigen, die sich als Christen identifizierten und Trump gewählt haben, waren protestantische bzw. andere Christen (54 %), wobei ein Großteil von ihnen wiedergeborene oder evangelikale Christen waren. Ein Viertel der Befragten (24 %) gab an, katholisch zu sein. Lediglich 12 % der Trump-Wähler ordneten sich der Gruppe der Säkularen zu. Dies impliziert, dass die säkularen Trump-Wähler im Verhältnis von 4,5:1 von den protestantischen/anderen Christen und 2:1 von den Katholiken überstimmt wurden.

Demgegenüber lässt sich konstatieren, dass lediglich 55 % der Wähler, die sich für Biden entschieden hatten, eine christliche Gruppierung als ihre eigene identifizierten. Obgleich dieser Anteil immer noch eine Mehrheit seiner Wählerschaft darstellt, liegt er doch deutlich unter dem nationalen Anteil. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich zwei Drittel der Wählerschaft als Christen bezeichnen. Demgegenüber gaben 45 % der Wähler Bidens an, keiner christlichen Konfession anzugehören. Dabei machten die säkularen Wähler zwei Drittel der nicht-christlichen Biden-Wählerschaft aus.

In der Koalition Bidens stellen die säkularen Wähler die zweitgrößte Gruppe (30 %), die nur geringfügig kleiner ist als die größte Gruppe, die Protestanten und andere Christen (33 %). Die Gruppe der säkularen Wähler ist deutlich größer als die drittgrößte Gruppe, die der Katholiken (21 %). Es kann jedoch angenommen werden, dass der Anteil der säkularen Wähler an der Basis der Demokraten im Laufe der Zeit weiter zunehmen wird. Die Mehrheit der protestantischen/sonstigen christlichen Biden-Wähler (61 %) ist über 50 Jahre alt, während 62 % der säkularen Biden-Wähler unter 50 Jahre alt sind. Des Weiteren ist zu konstatieren, dass 45 % der säkularen Biden-Wähler unter 40 Jahre alt sind, was nahezu einer Verdoppelung der Anteile der protestantischen/anderen Christen (25 %) und der Katholiken (26 %) entspricht. Obgleich jüdische und muslimische Wähler*innen Biden in ähnlichem Maße unterstützen wie säkulare Wähler*innen, ist ihr Einfluss auf seine Koalition nicht einmal annähernd so groß. Die Gruppe der säkularen Wählerinnen und Wähler ist mit einem Anteil von 30 Prozent der Bevölkerung sechsmal größer als die jüdische (4 Prozent) und muslimische (1 Prozent) Wählerschaft zusammen.

In einer Zeit, in der der weiße christliche Nationalismus zu einer klaren und gegenwärtigen Gefahr sowie zum einigenden Merkmal der Republikanischen Partei geworden ist, sollten zwei Gründe für diese Entwicklung berücksichtigt werden. Erstens hat die zunehmende rassische und ethnische Vielfalt des Landes dazu geführt, dass die explizite weiße Vorherrschaft in den Mainstream zurückgekehrt ist. Zweitens hat die zunehmende Säkularisierung des Landes in den vergangenen 15 Jahren dazu geführt, dass ein Statusverlust befürchtet wird. Dieser ist nicht nur auf die vermeintlich schwindende Rendite des Weißseins zurückzuführen, sondern auch darauf, dass die vorherrschenden religiösen Ansichten nicht mehr so dominant sind.

In diesem politischen Kontext hat sich eine säkulare Wählerschaft herausgebildet. Unter Berücksichtigung der dargelegten Ereignisse ist es nicht verwunderlich, dass die säkularen Wähler nicht nur eine zu den Demokraten tendierende religiöse Wählergruppe darstellen, sondern auch die am stärksten zu den Demokraten tendierende religiöse Wählergruppe bilden.

In diesem Kontext verstärken sich die Kräfte der Säkularisierung und des weißen christlichen Nationalismus gegenseitig. Mit der Etablierung des weißen christlichen Nationalismus in der republikanischen Partei ist eine Abwanderung säkularer Wähler zu anderen politischen Parteien zu beobachten. Obgleich die Demokratische Partei als Institution bislang nicht unbedingt als besonders einladend für säkulare Wähler wahrgenommen wurde, lässt sich eine langsame Veränderung beobachten. Zudem zeigt sich, dass sie dem Säkularismus nicht offen feindselig gegenübersteht, im Gegensatz zur aktuellen Version der GOP.

Infolge ihres Status als die am schnellsten wachsende Religionsgruppe, ihrer schieren Größe sowie ihrer offenen Abneigung gegen eine Mitgliedschaft in der GOP sind die säkularen Wähler auf dem besten Weg, die größte Wählergruppe innerhalb der Koalition der Demokratischen Partei zu werden. Die säkularen Wähler waren nicht nur ein maßgeblicher Faktor im demokratischen Wahlkampf, der zur Präsidentschaft von Joe Biden führte, sondern werden aller Wahrscheinlichkeit nach auch bei künftigen Wahlen eine entscheidende Rolle spielen. Die säkularen Wähler sind im Durchschnitt jünger als die Wähler der größten religiösen Wählergruppen in der demokratischen Koalition, was darauf hindeutet, dass das Wachstumspotenzial dieser Gruppe noch nicht ausgeschöpft ist.

Die jüngste Vergangenheit lässt die Prognose zu, dass die Kandidaten der Demokratischen Partei auch bei den kommenden Wahlen auf die Unterstützung säkularer Wählerinnen und Wähler zählen können. Der andauernde, von der GOP geführte Angriff auf die reproduktiven Rechte, der durch die Dobbs-Entscheidung aufgedeckt wurde, wird zweifellos von einer säkularen Wählerschaft abgelehnt, die in Umfragen oft als stark wahlbefürwortend eingestuft wurde. Mit dem von der GOP kontrollierten Obersten Gerichtshof wurde mit dem Kennedy-Urteil eine weitere Entscheidung gefällt, welche die Trennung zwischen Religion und Staat erheblich aufweicht. Diese Entscheidung wird säkulare Wähler auf Jahre hinaus verärgern. Die Angriffe der GOP auf LGBTQ-Personen, insbesondere auf Transgender-Frauen, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft säkulare Wählerinnen und Wähler dazu bewegen, diese Partei abzulehnen. Säkulare Menschen gehören zu den eifrigsten Verteidigern der LGBTQ-Rechte. Zudem besteht die säkulare Wählergruppe überproportional aus LGBTQ-Menschen, die tendenziell säkularer sind als die allgemeine Bevölkerung. Dies lässt sich durch die historische Entwicklung der LGBTQ-Bewegung erklären, die ihren Ursprung in säkularen Kreisen hat.

Die These, wonach sich die säkulare Wählerschaft wie eine “Katzenherde” verhalte, trifft nicht zu. In vielerlei Hinsicht lässt sich eine Kohärenz und Einheitlichkeit der säkularen Wählerschaft beobachten, die über diejenige der christlichen Wählerschaft hinausgeht. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Situation auch in Zukunft nicht ändern wird.

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Dr. Andreas Gradert

Andreas Gradert studierte Theologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Psychologie an der University of Liverpool, Wirtschaftswissenschaften am MIT und Mediation am Wifi Salzburg und bei Lis Ripke.

Seit 22 Präsident des Humanistischen Verbandes Österreich, seit 24 der giordano bruno stiftung Österreich, früher im Präsidium Lebenshilfe Salzburg, jetzt im Präsidium Atheisten Österreich , aktiv im Zentralrat der Konfessionsfreien, bei der EU Fundamental Rights Agency, den Skeptikern, den Effektive Altruisten und diversen Menschenrechtsorganisationen sowie Beirat in der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende.

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