Ungarischer Humanist bringt Fall ungerechtfertigter Entlassung vor das Oberste Gericht

Gáspár Békés beim Humanistischen Weltkongress 2023 Foto: Pavel Storozhuk, Norwegische Humanistische Vereinigung
Gáspár Békés beim Humanistischen Weltkongress 2023, auch im Bild Dr. Gerhard Engelmayer Foto: Pavel Storozhuk, Norwegische Humanistische Vereinigung

Vor elf Monaten berichtete bereits der Humanistische Pressedienst in einem sehr ausführlichen Artikel von Balázs Bárány über den Fall von Gáspár Békés, nun geht es weiter.

Ich habe Gáspár Békés beim Humanistischen Weltkongress 2023 in Kopenhagen kennen und schätzen gelernt, und nun bringt er mit Unterstützung der Anwaltskanzlei Tingey Injury aus Las Vegas eine Berufung zu seinem Entlassungsurteil und gleichzeitig eine Strafanzeige gegen die damals entscheidenden Richter auf den Weg.

Um was geht es hier? Zur weiteren Erläuterung habe ich habe den 2018 von Gáspár erschienenen Blogartikel “Ist die Kindertaufe verfassungsgemäß?” einmal ins Deutsche übersetzt:


Ist die Kindertaufe verfassungsgemäß?

“Am Ende werden sie mit staatlichen Mitteln die Kindertaufe verbieten”.

sagte Zoltán Balog, geistliches Kraftpaket und Ex-Minister, auf der Christlich-National-Illiberalen Christlichen Konferenz Zukunft Europas (ich komme mit den Permutationen langsam durcheinander).

In einer illiberalen Christdemokratie die Rechte der Mitmenschen mit Füßen zu treten, ist sicher nicht der Rede wert. Trotzdem frage ich mich, warum es eine Voraussetzung ist, dass man sich taufen lässt?

Gehen wir von unserer gegenwärtigen Verfassung aus, in der es heißt

Artikel VII:
(1) Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder Weltanschauung zu wählen oder zu wechseln.

Ungarische Verfassung

Da das Grundgesetz für alle Menschen unabhängig von ihrem Alter gilt, also auch für Kinder, haben auch sie das Recht auf Gewissensfreiheit. Zudem sind diese Freiheiten unveräußerlich, d.h. sie können nicht auf die Eltern übertragen werden. Das wäre ohnehin rechtlich unsinnig, denn nicht zufällig dürfen Eltern nicht für ihre Kinder wählen, sondern das Wahlrecht gilt erst ab dem 18 Lebensjahr.

 Artikel I:
(1) Die unverletzlichen und unveräußerlichen Grundrechte der Menschen sind zu achten. Ihr Schutz ist eine vorrangige Verpflichtung des Staates.

Ungarische Verfassung

Hinzu kommt die UN-Konvention über die Rechte des Kindes, der Ungarn 1993 beigetreten ist:

Artikel 14
Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Gesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder der Grundrechte und Grundfreiheiten anderer notwendig sind.

UN Kinderrechtskonvention

Die Taufe ist eine bewusste Verletzung dieser Freiheit, da die Eltern das Kind ohne seine Zustimmung einer bestimmten Religion zuordnen und es dann rechtswidrig zu religiösen Aktivitäten wie Gottesdiensten, Kirchen- und Schulbesuchen zwingen und es bei Nichtbefolgung realen oder psychologischen Strafen (z.B. Drohungen mit der Hölle) aussetzen. Selbst die kleinste negative Konsequenz der unehelichen Taufe ist von Bedeutung: Sie vermittelt die Botschaft, dass Kinder ihrer Freiheiten beraubt werden können, wenn die Eltern und der Staat ein Auge zudrücken, und setzt damit unsere jüngsten Mitbürger der Ausbeutung aus, einer Mentalität, die neben der religiösen Indoktrination (als ob das nicht schon schlimm genug wäre) zu weiteren Missbräuchen führen kann.

In Ungarn nimmt die Zahl der religiösen Menschen stetig ab, aber die Christdemokratie wächst, und die Zahl der kirchlichen Schulen hat sich etwa verdoppelt, mit 3,4-facher staatlicher Finanzierung für eine solche Einrichtung (HVG 2017), natürlich mit dem Geld der Gläubigen und Nichtgläubigen, auch verfassungswidrig. Es ist kein Geheimnis, dass Fidesz der Religion eine herausragende Rolle in der staatlichen Indoktrination einräumt und sie mit dem Christentum gleichsetzt. “Der Staat ist die Religion”, heißt es im Kosmos. Das Gesetz über das öffentliche Schulwesen besagt, dass ein Bürger unter 18 Jahren nicht selbst über seine Religion entscheiden kann, und die staatlich finanzierten, angeblich gemeinnützigen Schulen, die von Kirchen geleitet werden, schließen jeden aus und können jeden hinauswerfen, der sich weigert, ein aufgezwungenes religiöses Leben zu akzeptieren. In 95 Gemeinden sind z.B. nur die kirchlichen Grundschulen freiwillig, und die 3,4-fache Subventionierung bedeutet für diejenigen, die nichtkirchliche Einrichtungen besuchen, den Verzicht auf eine qualitativ hochwertige Bildung, ganz zu schweigen vom elterlichen Zwang. Ich weiß nicht, wie der stark diskriminierende Inhalt des Schulgesetzes die Normenkontrolle überstanden hat. Übrigens waren 2016 41% der jungen Menschen zwischen 15 und 28 Jahren nicht religiös und nur 6% gehörten einer Kirche an (New Generation Centre 2016).

Rechtlich gesehen ist die Taufe eindeutig illegal, aber wie kann sie in der Praxis abgeschafft werden? Viele Menschen stellen die Frage: Soll ein Kind nun als Atheist erzogen werden, dürfen die Eltern ihre Werte nicht weitergeben? Nein, das ist nicht der Fall. Zum einen bedeutet eine nichtreligiöse Erziehung nicht automatisch eine atheistische Erziehung, denn bei einer säkularen Erziehung geht es darum, dem Kind nicht die eigene subjektive (und im Übrigen wissenschaftlich nicht belegte) Weltanschauung aufzudrängen; im Idealfall vermitteln die Eltern ihre eigene Sicht, aber nicht als absolute Wahrheit, und ziehen das Kind nicht zu den Ritualen der Religion, die ihm gefällt, und drohen ihm nicht mit der Hölle usw., wenn es anders denkt. Wenn das Kind in die Kirche/Synagoge/Moschee gehen will, soll es das natürlich tun, wenn es wirklich seine Wahl ist. Natürlich ist jeder Elternteil anders, aber die Taufe ist etwas, was die meisten religiösen Eltern tun.

Im schlimmsten Fall ist es dann so:

Die Meinungen darüber, wann ein Mensch in der Lage ist, eine verantwortliche religiöse Entscheidung zu treffen, d.h. wann es legal sein sollte, getauft zu werden, gehen auseinander, aber ich würde es frühestens mit 16 oder 18 Jahren erlauben, da bis zum Erwachsenenalter der psychologische, finanzielle und rechtliche Einfluss der Eltern auf die Kinder zu groß ist (da Baptisten und Täufer nur Erwachsene taufen). Ich habe auch gehört, dass Eltern, die keine Religion haben, ihre Werte nicht an ihre Kinder weitergeben können. Nun, da die Bibel auf dem Gewohnheitsrecht der damaligen Zeit basiert und die allgemeinen moralischen Normen des Buches daher unabhängig von der Religion bestehen, kann man einem Kind beibringen, nicht zu stehlen, ohne ihm mit der Hölle zu drohen; oder, wenn man wirklich authentisch sein will, indem man es in die Sklaverei verkauft (2. Mose 22,3-4). Da die Bibel leider sehr widersprüchlich ist, wenn es um Strafen und Werte geht (z.B. Genesis 21,1-7; 22,1-18. Die Geschichte von Abraham und Isaak), ist es vielleicht besser, das Kind nicht zu verwirren und die Moral von etwas anderem abzuleiten. Ja, nicht nur religiöse Menschen können moralisch sein, was sehr überraschend ist. Tatsächlich haben Studien gezeigt, dass nichtreligiöse Menschen beispielsweise großzügiger sind als ihre tiefreligiösen Kollegen (Saslow et al. 2012).

Es ist an der Zeit, die privilegierte Rolle der Religionen und Kirchen in der Gesellschaft zu beenden. Die Kirchen als soziale Konstrukte genießen immer noch Steuerbefreiung, öffentliche Subventionen und den Status der Illegalität. Wenn wir die “katholische Kirche” durch die “XY Inc.” ersetzen würden, wäre es eine Frage von Tagen, bis der öffentliche Aufschrei zu Strafverfahren wegen Nichtzahlung von Steuern, institutionalisierter Diskriminierung von Frauen, Verhinderung von Safer Sex und Vertuschung von Kindesmissbrauch führen würde – und das alles mit öffentlichen Geldern. Die einzige Möglichkeit, überholte kirchliche Lehren zu reformieren, was im Interesse aller wäre, besteht darin, gleiche Regeln und Gesetze auf sie anzuwenden, hier eine 1000 Jahre alte Tradition, dort ein 2000 Jahre altes Buch. Ein säkularer und gerechter Staat kann nur auf gleicher Augenhöhe entstehen, und dafür müssen wir die Jüngsten unserer Gesellschaft respektieren. Neben der Säkularisierung müssen wir verstehen und begreifen, dass das Kind nicht Eigentum oder Vieh seiner Eltern ist, sondern Bürger. Wenn wir das nicht akzeptieren, können wir auch keine Kritik an Eltern üben, die Licht essen, Impfungen ablehnen oder Mädchen beschneiden, denn dann wird relativ, was sie mit ihren Kindern machen dürfen, und die Grenzen verschwimmen. Eltern haben nicht das Recht, ihre Kinder zu indoktrinieren, sondern sie nach ihren Interessen und Rechten zu fördern. Mit einem Taufverbot würde das Land deutlich machen, dass die Verletzung der Rechte anderer, unabhängig vom Alter, inakzeptabel ist. Außerdem kann die Religion, wenn sie wirklich so attraktiv ist, sicherlich auch weniger verletzliche Menschen, d.h. Erwachsene, überzeugen.

Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem alle großen politischen Parteien in Ungarn die religiös motivierte Verstümmelung unterstützen, von der LMP bis zur Europäischen Linken (die DK lehnt zumindest die weibliche Genitalbeschneidung ab). Doch der gesellschaftliche Dialog muss jetzt beginnen.

Gáspár Békés

Quellen:


Anmerkung: Manche fühlen sich dabei sicherlich an das Buch erinnert, dass mein Vorgänger Dr. Gerhard Engelmayer 2014 herausgebracht hat, und das unbedingt lesenswert ist:

Aus welchem Grund pflegen wir das mittelalterliche Ritual der Zwangstaufe bei unseren Kindern? Warum lassen wir sie nicht selbst wählen, wenn sie jene mündigen Erwachsenen geworden sind, zu denen wir eigentlich den Auftrag haben sie zu erziehen? Wie muss eine Erziehung aussehen, die den Erkenntnissen der Aufklärung Genüge leistet? Wie fundamentalistisch ist Österreich in Glaubensfragen?

Gerhard Engelmayer verlässt mit seinem Essay die Komfortzone bloßen Mitschwimmens mit dem Strom der Mehrheit. Diese Mehrheit glaubt nicht, frönt aber noch einem Feiertags-Christentum. Welches Potenzial verschenken wir, indem wir fraglos beim Club dabei sind?

Ein Pamphlet für den kritischen Atheisten und solche, die es werden wollen.Mit einem Vorwort von Günther Paal alias Gunkl.


Auch beim deutschen Portal der Kinder- und Jugendhilfe stellt man fest:

Die neue ungarische Gesetzgebung versagt nicht nur beim Schutz von Kindern, sondern erhöht auch die Gefahr, dass sie Schaden erleiden.

Eurochild, bei https://jugendhilfeportal.de/artikel/ungarische-gesetzgebung-ist-eine-gefahr-fuer-kinder

Soweit, so schlecht. Zurück zu Gápár, nun geht sein Kampf weiter, er hat beim Obersten Gerichtshof Berufung gegen seine ungerechtfertigte Entlassung aus seiner Position im Budapester Rathaus eingelegt. Der Schritt folgt der Feststellung des städtischen Berufungsgerichts, dass Békés aufgrund „skandalösen“ Verhaltens, das das Ansehen des Rathauses schädigte, rechtmäßig entlassen wurde.

Das Gründungsmitglied des Ungarischen Atheistenverbandes, Gáspár Békés, kämpft seit Februar 2021 gegen seine Entlassung aus seinem Job im Budapester Rathaus. Békés wurde wegen seines weltlichen Journalismus und Aktivismus entlassen.

Am 5. März 2024 entschied das Metropolitan Appeal Court zugunsten des Budapester Rathauses und hob damit ein Urteil des Gerichts erster Instanz auf, das besagte, er solle wieder in seinen Posten eingesetzt und für den Verdienstausfall entschädigt werden.

Bei seiner Urteilsfindung stimmte das Berufungsgericht der Stadt mit den Entscheidungen des Gerichts erster Instanz überein (und unterstützte damit die rechtlichen Argumente zur Verteidigung von Békés). Insbesondere stimmten die Gerichte darin überein, dass der Einfluss eines Amtsträgers auf Politik und Recht berücksichtigt werden sollte. Im vorliegenden Fall wurde anerkannt, dass Békés in seiner Position als Umweltschutzbeauftragter nicht befugt war, die Entscheidungsfindung zu beeinflussen. Da sich die Aussagen von Békés auf Angelegenheiten außerhalb seines beruflichen Fachgebiets bezogen, stimmten sie außerdem darin überein, dass seine persönlichen Überzeugungen die öffentliche Politik in diesen Fragen nicht beeinflussen würden.

Eine solche Entscheidung hätte dem Metropolitan Court genügen müssen, um das Urteil des Gerichts erster Instanz zugunsten von Békés zu bestätigen. Das Metropolitan Court war jedoch der Ansicht, dass das untere Gericht die Beweislast gegen Békés nicht ausreichend geprüft hatte, und kam zu dem Schluss, dass seine Handlungen die Schwelle überschritten, ab der eine solche Verteidigung aufrechterhalten werden könnte. Um diese Entscheidung zu treffen, führte das Metropolitan Court of Appeal entgegen dem gerichtlichen Verfahren neue Beweise ein.

„Nach einem vierten Prozess hat das Berufungsgericht alle Argumente des Rathauses, die meine Entlassung begründen, zurückgewiesen. Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass alle Veröffentlichungen, die als Beweismittel für meine Entlassung verwendet wurden, nicht gegen das Gesetz verstoßen und nicht einmal beleidigend waren. Dennoch hat das Gericht gegen mich entschieden. Um zu seinem Urteil zu gelangen, haben sie willkürlich und illegal neue Beweise und Argumente nachträglich eingeführt und sich dabei auf einen diffamierenden und sachlich falschen Artikel eines Neonazi-Journalisten eines rechtsextremen Portals bezogen.

„Ich habe daher Berufung beim Obersten Gerichtshof eingelegt und Beschwerde und Strafanzeige gegen die Richter eingereicht, die in dem Urteil diffamierende Äußerungen über mich gemacht haben.“

Gáspár Békés

Humanists International ist der Ansicht, dass Gáspár Békés nur deshalb ins Visier genommen wird, weil er friedlich seine Rechte auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie auf Meinungs- und Gedankenfreiheit ausübt, und zwar aufgrund seines Engagements für die Verbreitung humanistischer Werte und kritischen Denkens. Humanists International fordert die ungarischen Behörden auf, alle Drohungen gegen Békés zu untersuchen und seine Sicherheit zu gewährleisten. Darüber hinaus fordert Humanists International das Budapester Rathaus auf, Békés wieder in sein Amt einzusetzen und ihm die ihm zustehende Entschädigung zu zahlen.


Viel Erfolg, Gáspár.

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Dr. Andreas Gradert

Andreas Gradert studierte Theologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Psychologie an der University of Liverpool, Wirtschaftswissenschaften am MIT und Mediation am Wifi Salzburg und bei Lis Ripke.

Seit 22 Präsident des Humanistischen Verbandes Österreich, seit 24 der giordano bruno stiftung Österreich, früher im Präsidium Lebenshilfe Salzburg, jetzt im Präsidium Atheisten Österreich , aktiv im Zentralrat der Konfessionsfreien, bei der EU Fundamental Rights Agency, den Skeptikern, den Effektive Altruisten und diversen Menschenrechtsorganisationen sowie Beirat in der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende.

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