Karl Poppers Toleranzbegriff, aktuell wie nie

Poppers Toleranzbegriff
Poppers Toleranzbegriff

Forschung ist nur dann gute Forschung, wenn sie sich widerlegen lässt. Eh klar, oder?
Poppers revolutionäres Werk krempelte die moderne Wissenschaftstheorie um.

Was treibt mich heute dazu, über Karl Popper zu schreiben? Hauptsächlich das Toleranz-Paradoxon, aber auch der Falsifikationismus. Im Zuge der im Moment stark aufgebrandeten Diskussion um die Rede von Omri Boehm kam mir immer wieder das Toleranz-Paradoxon in den Sinn, es besagt, dass eine tolerante Gesellschaft intolerante Ansichten nicht tolerieren sollte, da sie sonst von Intoleranz untergraben werden könnte. Diese Idee wurde von vielen Kritikern hinterfragt, die argumentieren, dass es schwierig sein kann, die Grenze zwischen toleranten und intoleranten Ansichten festzulegen.

Einige argumentieren, dass Poppers Ansatz zur Bekämpfung von Intoleranz selbst zu einer Form von Intoleranz führen könnte, insbesondere wenn er dazu verwendet wird, bestimmte Meinungen oder Ideen als “intolerant” zu brandmarken und ihre Äußerung zu unterdrücken. Sie argumentieren, dass Poppers Konzept einer “offenen Gesellschaft” paradoxerweise dazu führen könnte, dass bestimmte Ansichten oder Gruppen ausgeschlossen oder marginalisiert werden.

Andere argumentieren, dass Poppers Ansatz nicht immer klar definiert, wer entscheidet, welche Ansichten als intolerant gelten und welche nicht. Dies könne zu Missbrauch führen und die Meinungsfreiheit einschränken.

Und wieder andere beziehen sich darauf, dass Poppers Toleranzparadoxon möglicherweise nicht ausreichend darauf eingeht, wie tief verwurzelte Vorurteile und Diskriminierung durch soziale Strukturen und Institutionen aufrechterhalten werden können. Es wird argumentiert, dass einfache Verbote oder Unterdrückung bestimmter Meinungen nicht die zugrunde liegenden Ursachen von Intoleranz bekämpfen, sondern lediglich Symptome behandeln.

Wissenschaftliche Theorien sind Vermutungen, die wir vorläufig akzeptieren, um sie zu widerlegen, denn die Wissenschaft ist ein nie endender Prozess des Irrtums und des Widerlegens, und wenn wir uns nie irren, dann haben wir uns nie weiterentwickelt.

Eine menschliche Gesellschaft ohne Konflikte kann es nicht geben. Eine solche Gesellschaft wäre nicht etwa eine Gesellschaft von Freunden, sondern von Ameisen.

Der Rationalismus ist also mit der Idee verbunden, dass der andere das Recht hat, gehört zu werden und seine Argumente zu verteidigen. Das bedeutet, dass der Rationalismus auch die Forderung nach Toleranz enthält, zumindest für alle, die nicht selbst intolerant sind. Man tötet niemanden, wenn man gewohnt ist, zuerst seine Argumente anzuhören.

Karl Popper, Philosophie der freien Gesellschaft – “Ein Karl Popper Brevier” von Hardy Bouillon

Karl Popper brach in seinem Werk “Die Logik der Forschung” radikal mit der herkömmlichen wissenschaftlichen Methodik, die darauf abzielte, Hypothesen oder Theorien zu bestätigen und zu begründen. Anstelle dessen präsentierte er das Prinzip der Falsifizierbarkeit, das bis heute in der Forschung Anwendung findet: Eine Theorie gilt als wissenschaftlich, wenn sie prinzipiell durch ein Gegenargument oder Gegenbeispiel widerlegt werden kann. Wenn ein Forscher also eine Aussage wie “Alle Raben sind schwarz” aufstellt, ist es seine Aufgabe, nach Belegen zu suchen, die diese Aussage widerlegen könnten. Das Auffinden solcher Belege ist von Vorteil, da es zur Weiterentwicklung der Wissenschaft führt: von Hypothese zu Widerlegung und wieder zurück zur Formulierung neuer Hypothesen.

Allerdings sind Theorien, die zahlreiche Falsifizierungsversuche überstehen, nicht zwangsläufig endgültig gültig, da immer die Möglichkeit besteht, dass weitere Gegenargumente auftauchen. Poppers neue wissenschaftliche Methodik erleichterte den empirisch arbeitenden Forschern seiner Zeit die Last, mit der sie konfrontiert waren, als neue Theorien wie die Relativitätstheorie das bestehende physikalische Weltbild in Frage stellten. Popper argumentierte, dass solche Herausforderungen für die Wissenschaft kein Problem darstellen, sondern vielmehr ein Zeichen für ihren normalen Fortschritt sind: Fortschritt entsteht nur, wenn nichts als ewig gültig betrachtet wird.

Karl Popper hat mehrere bedeutende Theorien aufgestellt, die die Wissenschaftstheorie und die Philosophie maßgeblich beeinflusst haben. Einige seiner wichtigsten Theorien sind:

  1. Falsifikationismus: Popper argumentierte, dass wissenschaftliche Theorien nicht durch Bestätigung, sondern durch Falsifikation gestärkt werden. Eine Theorie sollte falsifizierbare Aussagen enthalten, die durch empirische Tests widerlegt werden können. Wenn eine Theorie diesen Tests standhält, gewinnt sie an Glaubwürdigkeit.

  2. Kritischer Rationalismus: Popper betonte die Bedeutung der Kritik und Skepsis in der Wissenschaft. Er argumentierte, dass keine Theorie jemals als endgültig bewiesen werden könne und dass alle Theorien vorbehaltlich zukünftiger Kritik und Überprüfung seien.

  3. Theorie des dreigliedrigen Weltbilds: Popper teilte die Welt in drei Bereiche ein: die Welt der materiellen Objekte und Ereignisse, die Welt des Bewusstseins und der mentalen Phänomene sowie die Welt der abstrakten Objekte und Ideen. Diese Theorie half ihm, Probleme in der Philosophie des Geistes und der Erkenntnistheorie zu adressieren.

  4. Evolutionäre Erkenntnistheorie: Popper argumentierte, dass Wissen und Wissenschaft durch einen evolutionären Prozess entstehen, bei dem Theorien durch kritisches Denken und empirische Tests verbessert werden. Er betrachtete die Wissenschaft als offenes System, das sich ständig weiterentwickelt.

  5. Situationslogik: Popper entwickelte die Idee der Situationslogik, die besagt, dass logische Aussagen nicht isoliert betrachtet werden sollten, sondern im Kontext einer bestimmten Situation oder Fragestellung.

  6. Objektive Wissenschaft: Popper betonte die Notwendigkeit einer objektiven Wissenschaft, die unabhängig von persönlichen Vorlieben oder Ideologien ist. Er argumentierte, dass wissenschaftliche Erkenntnisse durch kritische Prüfung und Überprüfung gewonnen werden sollten.

  7. Kritik am Historizismus: Popper kritisierte den Historizismus, die Idee, dass soziale Phänomene und Entwicklungen durch historische Gesetzmäßigkeiten determiniert sind. Er argumentierte, dass historische Vorhersagen nicht möglich seien und dass jede Theorie oder Ideologie auf empirische Prüfung und Kritik angewiesen sei.

  8. Theorien zur Offenen Gesellschaft: Popper prägte den Begriff der “Offenen Gesellschaft” als Gegenmodell zur totalitären Gesellschaft. Er betonte die Bedeutung von Pluralismus, Toleranz und demokratischen Institutionen für eine freie und gerechte Gesellschaft

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Dr. Andreas Gradert

Andreas Gradert studierte Theologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Psychologie an der University of Liverpool, Wirtschaftswissenschaften am MIT und Mediation am Wifi Salzburg und bei Lis Ripke.

Seit 22 Präsident des Humanistischen Verbandes Österreich, seit 24 der giordano bruno stiftung Österreich, früher im Präsidium Lebenshilfe Salzburg, jetzt im Präsidium Atheisten Österreich , aktiv im Zentralrat der Konfessionsfreien, bei der EU Fundamental Rights Agency, den Skeptikern, den Effektive Altruisten und diversen Menschenrechtsorganisationen sowie Beirat in der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende.

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