Menschenrechte und Menschenpflichten

Die Menschenrechte sind ein Erfolg – ihre Durchsetzung erfordert noch Arbeit

Die Erfindung der Menschenrechte war eine der wirkmächtigsten Neuerungen in der Geschichte Europas. Ihre Durchsetzung erfordert immer noch Arbeit, aber sie sind – im Prinzip – bereits Grundlage aller modernen Gesellschaften.

Wie aber geht es weiter – reichen die Menschenrechte?

Haben wir nur Rechte, aber keine Pflichten?

Die Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte war erfolgreich, indem sie das Selbstbild des Menschen veränderte und deklarierte, der Mensch habe ihm naturgemäß zustehende und unveräußerliche Rechte. Dieses veränderte Selbstbild, das zunächst nur eine Behauptung war, verfestigte sich im Lauf der Zeit zu einer Gewissheit in unserem Selbstverständnis und war der Schlüssel zur Entwicklung einer humaneren und gerechteren Gesellschaft.

Eine weitere solche Veränderung unseres Selbstbildes könnte der Schlüssel sein, mit dem die Menschheit einige der großen und drängenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angehen könnte: die Erklärung, der Mensch habe außer natürlichen Rechten auch natürliche Pflichten. Die Logik liegt allein schon sprachlich auf der Hand: wo Rechte sind, sind auch Pflichten.

Dieses allgemeine und simple Prinzip ist in der Jurisprudenz allgemein anerkannt; allein auf dem Gebiet des Selbstverständnisses des Menschen selber sind bisher nur Rechte definiert worden, nicht aber Pflichten.

Gelänge es, diese Lücke zu schließen und im Selbstverständnis des Menschen zu verankern, dass er nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten hat, wäre damit eine neue Grundlage geschaffen, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Klima, Umwelt, Ressourcen, Wertewandel, Gerechtigkeit und Sinnkrisen – zu meistern.

Intendiert wären dabei keine rechtlich verbindlichen Pflichten, was auch nur schwer umzusetzen wäre, wohl aber ein neuer moralisch-ethischen Leitstern.

Von Menschenrechten zu Menschenpflichten

Mehrere Initiativen haben sich dieser Lücke angenommen, am prominentesten der InterAction Council, eine Vereinigung von Staatsmännern, Vordenkern, religiösen Führern und prominenten Wissenschaftlern, zu denen M. Gorbatschow, F. Vranitzky, J. Carter, H. Schmidt, Kardinal F. König, C.F. und R. von Weizsäcker und viele andere zählen. Der Council hat 1997, zum 50. Jahrestag der “Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte”, eine “Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten(PDF hier) zur Annahme bei den Vereinten Nationen (UNO) vorgeschlagen. Nachfolgend die Präambel der vorgeschlagenen Erklärung:

“Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt ist und Pflichten oder Verantwortlichkeiten („responsibilities“) einschließt,

– da das exklusive Bestehen auf Rechten Konflikt, Spaltung und endlosen Streit zur Folge hat und die Vernachlässigung der Menschenpflichten zu Gesetzlosigkeit und Chaos führen kann,

– da die Herrschaft des Rechts und die Förderung der Menschenrechte abhängen von der Bereitschaft von Männern wie Frauen, gerecht zu handeln,

– da globale Probleme globale Lösungen verlangen, was nur erreicht werden kann durch von allen Kulturen und Gesellschaften beachtete Ideen, Werte und Normen,

– da alle Menschen nach bestem Wissen und Vermögen eine Verantwortung haben, sowohl vor Ort als auch global eine bessere Gesellschaftsordnung zu fördern ein Ziel, das mit Gesetzen, Vorschriften und Konventionen allein nicht erreicht werden kann,

– da menschliche Bestrebungen für Fortschritt und Verbesserung nur verwirklicht werden können durch übereinstimmende Werte und Maßstäbe, die jederzeit für alle Menschen und Institutionen gelten,

deshalb verkündet die Generalversammlung der Vereinten Nationen diese Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten. Sie soll ein gemeinsamer Maßstab sein für alle Völker und Nationen, mit dem Ziel, dass jedes Individuum und jede gesellschaftliche Einrichtung, dieser Erklärung stets eingedenk, zum Fortschritt der Gemeinschaften und zur Aufklärung all ihrer Mitglieder beitragen mögen. Wir, die Völker der Erde, erneuern und verstärken hiermit die schon durch Allgemeine Erklärung der Menschenrechte proklamierten Verpflichtungen: die volle Akzeptanz der Würde aller Menschen, ihrer unveräußerlichen Freiheit und Gleichheit und ihrer Solidarität untereinander. Bewusstsein und Akzeptanz dieser Pflichten sollen in der ganzen Welt gelehrt und gefördert werden.“

InterAction Council 01.09.1997

Die vorgeschlagene Erklärung definiert im weiteren Menschenpflichten in fünf Bereichen, die hier nur summarisch genannt werden sollen:

  • Fundamentale Prinzipien für Humanität
  • Gewaltlosigkeit und Achtung vor dem Leben
  • Gerechtigkeit und Solidarität
  • Wahrhaftigkeit und Toleranz
  • Gegenseitige Achtung und Partnerschaft

Der vollständige Text steht auf der DRI-Website development-institute.org zur Verfügung.

Was heißt das genau?

Wir meinen:

Es genügt nicht, nur Rechte für sich selbst zu fordern, ohne sich darüber klar zu sein, dass mit mehr Rechten und Fähigkeiten auch mehr Pflichten verbunden sind.

Hier ist jedoch nicht von Gesetzen die Rede, deren Verletzung unter Sanktion steht, sondern von freiwillig übernommenen und verinnerlichten humanitären Pflichten, die uns als Träger von Menschenrechten bei Handlungen und Unterlassungen leiten sollen.

Sie entspringen der Einsicht in die Verantwortung jedes einzelnen für sich selbst, die Mitmenschen und die Umwelt. Ihre Beachtung soll zur sittlichen Vervollkommnung beitragen. Nur über die Verbesserung vieler einzelner kann die Verbesserung der Menschheit voranschreiten. Es ist daher notwendig, dass jeder einzelne als mündiger Mensch im Leben durch Wort und Tat für Ausgewogenheit zwischen begehrten Rechten und davon unabtrennbaren Pflichten sorgt.

Die folgenden Punkte können für jeden einzelnen, aber auch für Institutionen eine Orientierung bieten:

Jeder Mensch sollte, seinen individuellen Möglichkeiten entsprechend,

  1. sein Gewissen schärfen und sich von ihm leiten lassen
  2. seine individuellen Anlagen wahrnehmen und positiv weiterentwickeln
  3. sein Wissen ständig erweitern, um die Welt und sich selbst besser zu verstehen
  4. aus seinen Fehlern lernen und sich selbst gegenüber wachsam sein
  5. den eigenen wohlüberlegten Standpunkt offen und im Geist der Toleranz vertreten
  6. sich seiner Würde als Mensch bewusst sein und diese Würde wahren
  7. die eigenen Ansprüche mäßigen.

Jeder Mensch sollte, seinen individuellen Möglichkeiten entsprechend,

  1. die Würde und Rechte anderer anerkennen und dafür eintreten
  2. Mitmenschen uneigennützig fördern und ihnen helfen, wenn sie in Not sind
  3. sozial Schwachen und Behinderten beistehen
  4. die Meinungen anderer ernstnehmen, aber gegen Intoleranz auftreten
  5. sich für Meinungsvielfalt als Ausdruck geistiger Freiheit einsetzen
  6. das Fremde respektieren und andere Kulturen akzeptieren
  7. Vorurteile durch Suche nach zuverlässiger Information, Erkenntnis und Aufklärung abbauen
  8. Wissen und Erfahrung verständlich weitergeben
  9. sich nach besten Kräften für eine humane und gerechte Gesellschaft einsetzen, sowie die Demokratie und ihre Einrichtungen verteidigen
  10. die Instrumente zur demokratischen Willensbildung sinnvoll nützen
  11. bereit sein, den eigenen Fähigkeiten entsprechende Funktionen in der Gemeinschaft zu übernehmen
  12. persönliche Macht nicht missbrauchen und Machtmissbräuchen anderer entgegentreten
  13. Aufgaben und Verantwortung sinnvoll delegieren.

Jeder Mensch sollte, seinen individuellen Möglichkeiten entsprechend,

  1. sich als bewusster und daher verantwortlicher Teil der Natur fühlen
  2. Verantwortung gegenüber der Nachwelt tragen
  3. mithelfen, das Leben in seiner Vielfalt zu schützen und mit den begrenzten Ressourcen des Planeten umweltschonend umzugehen
  4. sich der ethischen Grenzen des Machbaren bewusst sein
  5. sich für Ausgewogenheit zwischen Weltbevölkerung und Wohlstand einsetzen, damit ein menschenwürdiges Dasein für alle erreicht werden kann
  6. erkennbaren ökologischen Fehlentwicklungen entgegentreten
  7. kulturelle Werte pflegen und weiterentwickeln.

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Mag. DDr. Peter Gowin

Dr. Gowin, geb. 1969, ist Vorstand des Human and Global Development Research Institute (DRI). Das DRI vertritt unter anderem die Kampagne für ein Weltparlament und propagiert die Allgemeine Erklärung der Menschlichen Verantwortung („Menschenpflichten"). Gowin ist Philosoph, Physiker und Psychotherapiewissenschaftler.

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