Frontalangriff auf die Werte von Wissenschaft und Aufklärung
Andreas Edmüller, Privatdozent an der Ludwig-Maximilian-Universität in München, drückt sich nicht um eine klare Position: Bei einer Veranstaltung des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes (DA!) bespricht er ein Beispiel für Wokeness aus Neuseeland. Und überträgt dies auf die Diskussionskultur auch hierzulande. Mit dem Ergebnis: Wokeness und Aufklärung seien nicht miteinander vereinbar.
Woke, das heißt wachsam zu sein gegenüber Diskriminierung und ungerecht verteilter Macht. Einen stets wachen Blick zu haben für Ungerechtigkeiten aller Art. Doch längst ist aus dem Eintreten gegen Diskriminierungen oder dem berechtigten Aufzeigen von Rassismus eine Ideologie geworden. Erbitterte Auseinandersetzungen um gendergerechte Sprache, Cancel Culture, das Nicht-zu-Wort-Kommen-Lassen anderer Standpunkte, das Anprangern kultureller Aneignung zeigen das. Bis hin zu hysterischen Warnungen, dass Schaden nehmen könne, wer Bücher von Mark Twain, Karl May, Astrid Lindgren oder Michael Ende liest.
Andreas Edmüller ist einer, der besonders pointiert gegen das Woke-Phänomen argumentiert. Er hat in München und Oxford Philosophie, Logik/Wissenschaftstheorie und Linguistik studiert. Seit seiner Habilitation 1996 ist er Privatdozent für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Moral-, Rechts- und Staatsphilosophie.
Und nun hat ihn der Düsseldorfer Aufklärungsdienst (DA!) in den Vortragssaal des Stadtmuseums eingeladen. Thema: “Das Woke-Phänomen: Frontalangriff auf die Werte von Wissenschaft und Aufklärung?” In der Einladung zu dem Abend steht hinter dem Satz noch ein Fragezeichen. In der ersten Folie des Vortragenden ist es ein Rufzeichen.
Eine Art doppelte Triggerwarnung wird Edmüllers Vortrag vorangestellt: Zunächst hat Moderatorin Eva Creutz eine vorsorgliche Bitte an das Publikum in Düsseldorf: Man möge in der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion den jeweils anderen ausreden lassen, sachlich bleiben und einander nicht beleidigen. Und dann sagt der Vortragende noch, er werde seine Thesen an einem Beispiel aus Neuseeland darlegen. “In der Hoffnung, dass die physische Distanz auch für emotionale Distanz bei meinen Zuhörern sorgt”. Doch so ganz gelingt die Friedlichkeit denn doch nicht an diesem Abend. Eben weil Edmüller trotz des von ihm gewählten Beispiels vom anderen Ende der Welt seine These eben auch pointiert in unsere Breiten überträgt und folgert: “Aufklärung und Woke-Phänomen sind nicht vereinbare geistige Koordinatensysteme. Wir haben es hier mit einem Frontalangriff auf die Werte von Wissenschaft und Aufklärung zu tun.” Er appelliert denn auch ultimativ an sein Publikum: “Man muss sich entscheiden, auf welcher Seite man steht.”
Beide, Wokeness und Aufklärung, setzten sich zwar für die richtigen Anliegen ein – gegen Rassismus, gegen Diskriminierung. “Doch die Aufklärung tut das mit sehr guten Argumenten, die Woke-Bewegung hingegen tut das mit schlechten Argumenten und schadet damit dem guten Anliegen.”
Wokeness in Neuseeland – der Fall
Und dies ist das Neuseeland-Beispiel von Edmüller, das dieser als exemplarisch für die gesamte Woke-Diskussion sieht:
Die neuseeländische Regierung habe im Jahr 2005 ein Programm mit dem Titel “Vision Matauranga” beschlossen. Es ging um die Kultur der Maori, der Ureinwohner Neuseelands. Ziel war es, nach Jahrzehnten des Rassismus und der Kolonialisierung zu Versöhnung zu kommen. In diesem Rahmen machte eine Regierungskommission den Vorschlag, die Lehren der Maori als gleichberechtigtes Modell im Schulunterricht neben den Naturwissenschaften (Biologie, Physik, Chemie) als Weltbild zu unterrichten.
Edmüller schildert den Kern des Selbstverständnisses der Kultur der Maori so: Es gebe einen Schöpfungsmythos mit zwei Gottheiten, Lebensenergie werde permanent von diesen abgestrahlt und sorge dafür, dass wir am Leben bleiben: diese Energie sei präsent in aller Materie und halte dort alle Partikel zusammen.
Die Kontroverse eskalierte im Jahre 2021, als sich sieben Professoren per offenem Brief gegen die Pläne stemmten, die Lehre in die Lehrpläne aufzunehmen. Die Professoren verteidigten die Wissenschaften und argumentierten, Kreationismus und Vitalismus hätten nichts in Physik, Biologie und Chemie verloren. Der Lehre der Maori fehle es an wissenschaftlicher Methodik, Tabus würden aufgestellt – anders als in der Wissenschaft dürfe nicht jeder alles jederzeit hinterfragen. Niemand wolle den Maori Böses, aber dies gehöre nicht als Alternativmodell in den wissenschaftlichen Unterricht, so die sieben Professoren. Über die dann sogleich ein Shitstorm hereinbrach. Sie seien attackiert worden mit exakt den typisch woken Argumenten, die man auch hierzulande oder in den USA kenne, sagt Edmüller und zählt auf: Rassismus und Diskriminierung; der Forderung nach Gleichwertigkeit; verletzte Gefühle. Die woke Kritik an den Professoren im Einzelnen und Edmüllers Einordnung:
Drei typische Beispiele für woke Argumentation
Erstens: Die Professoren, die der Maori-Kultur die Gleichstellung verweigern, verhielten sich rassistisch und diskriminierend. Für Edmüller eine typisch woke Argumentation: So werden Naturwissenschaften als koloniale rassistische Machtbasis gegen indigenes Wissen ausgespielt.
Zweitens: Die Professoren verletzten die Gleichwertigkeit der Systeme der Weltbeschreibung. Auch das für Edmüller eine typisch woke Argumentation: So sollen die Naturwissenschaften von ihrem Sockel geholt werden. Wenn es um Welterkenntnis gehe, werde verlangt, dass Ideen wie Homöopathie, Parapsychologie, Dianetik, Intelligent Design und indigene Wissenssysteme gleichberechtigt neben den Naturwissenschaften stehen. So würden die Naturwissenschaften zu einem von mehreren Erkenntnissystemen degradiert.
Drittens: Wenn ihr System der Weltbeschreibung diskriminiert wird, würden die Maori in ihren Gefühlen verletzt. Erneut eine für Edmüller typisch woke Argumentation: So wie in Neuseeland die Kritik angeblich alle Maori verletze, werde dieses Argument auch in hiesigen Gefilden verwendet. Edmüller nennt das Beispiel eines Schweizer Reggae-Musikers, bei dessen Anblick (blonde Rastalocken) Festival-Besucher sich unwohl fühlten (kulturelle Aneignung) und der deshalb nicht auftreten durfte. Zu dem Argument der verletzten Gefühle sagt Edmüller: “Unsere Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Wissenschaftsfreiheit sorgen doch immer dafür, dass sich irgendwer verletzt fühlen kann. So wie zum Beispiel auch ein Nicht-Gläubiger sich an einer Fronleichnamsprozession stoßen könnte. Es geht um die Fähigkeit, Emotionen zu managen.”
Edmüller fasst zusammen, was das Woke-Phänomen für ihn so gefährlich macht: Woke heiße, das das Weltbild der Naturwissenschaften und der Aufklärung als rassistisches Unterdrückungswerkzeug angesehen werde und als nur eines von vielen gleichermaßen korrekten Weltbildern gelte. Denke man dies weiter, so gebe es auch keine universal verbindlichen Werte wie zum Beispiel die Menschenwürde.
Heftige Debatte auch nach dem Vortrag
Die vom Referenten aufgemachte Alternative “woke oder aufgeklärt – beides zusammen geht nicht” provoziert Teile des Publikums. Was sei schlecht daran, sich gegen Diskriminierung oder Rassismus einzusetzen?, wird ihm entgegen gehalten. Wokes Denken sei doch der Versuch, sensibel mit anderen Menschen umzugehen. Wissenssysteme indigener Völker dürften nicht in eine Reihe mit Homöopathie oder Esoterik gestellt und damit gleichgesetzt werden, so eine Gegenthese.
Eine Zuhörerin sagt selbstkritisch, sie sei definitiv rassistisch geprägt. Nur wer sich das bewusst mache, könne sich davon frei machen. Auch kenne sie als Frau Diskriminierungen, die Edmüller als männlicher Vortragender so nicht nachempfinden könne. All das müsse differenzierter dargestellt werden. Auch wären andere Ergebnisse in den Naturwissenschaften erlangt worden, wenn in früheren Zeiten mehr Frauen mitgeforscht hätten – so die These aus dem Publikum. Wenn man die Perspektive von Frauen etwa bei medizinischer oder technischer Forschung oder auch bei Menschenrechten mehr berücksichtigt hätte und dies nicht nur “weißen Männern” überlassen hätte. Eine andere Zuhörerin pflichtet bei, wirft Edmüller Oberflächlichkeit vor und sagt, es gebe sehr wohl Sexismus in der Wissenschaft. Edmüller gesteht zu, dass die Themenwahl bei wissenschaftlicher Forschung bei anderer personeller Aufstellung der Forschenden (statt männlicher Dominanz) anders sein könnte – “aber doch nicht die Ergebnisse der Wissenschaft”. Und er wird durch einen Ruf aus dem Publikum unterstützt: Die Schwerkraft wäre doch wohl dieselbe.
Dass die Woke-Debatte ihren Peak, ihren Höhepunkt, überschritten hat, wie Edmüller glaubt, erscheint nach der teilweise hitzigen Diskussion, die so ja auch anderswo geführt wird, denn doch zweifelhaft.
Eine Aufzeichnung der Veranstaltung ist auf dem YouTube-Kanal des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes (DA!) zu sehen, ein gleicher Vortrag erschien auch bei Kortizes und beim Österreichischen Wissenschaftsfonds.
Der Artikel erschien zuerst beim hpd, ich bitte Euch, auch dort die Kommentare zu lesen.
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Schöpfungsgeschichte der Yorubas (Nigeria und Benin), zitiert nach „Schöpfungsgeschichten der Welt von Benoit Reis und Alexios Tjojas“ S. 165,166) :
»Er (der Gott Obatala) brannte sich Palmschnaps und begann zu trinken. Eines Abends, als er ziemlich viel getrunken hatte und am Singen war, fing Obatala an, eigenartige Gebilde aus Lehm zu formen.
Er trank die ganze Nacht weiter und formte im Mondschein Dutzende und Aberdutzende von sehr eigenartigen Gestalten. Und die ganze Zeit über sang er traurige Lieder, die davon handelten, wie langweilig es wäre ein Gott zu sein und wie wenig Selbstvertrauen die Götter hätten. „Die Götter glauben nicht an sich selbst!“, lautete einer der Refrains. Und das war ein anderes Lied:
„Man muss breite Schultern haben, Wenn man ein Gott sein will.
Ein Gott kann nicht darauf vertrauen, Dass es ihn nicht gibt.
Er darf nie vergessen, dass es ihn gibt.
Selbst wenn er müde ist, Wenn er schlafen möchte,
Ein Gott darf nie vergessen, Dass es ihn gibt.
Ob ihm das passt oder nicht!“
«
Das und ähnliches müsste in den Schulen der Welt als gleichwertig neben der Urknall-Theorie – die ihre Verfechter, nebenbei bemerkt, als revidierbar verstehen – gelehrt werden. Es ist schon unglaublich, was da alles als „Wissen“ deklariert wird. Kaum ist es ALT gilt es auch schon als WISSEN, ist es INDIGEN muss man es als WISSEN gelten lassen, weil man sonst diese Kulturen diskriminiert.Tut man aber garnicht, wenn man auf die Unzulänglichkeiten dieser Behauptungen ihinweist. Im Gegenteil. Wenn eine „woke“ community das unkritisch akzeptiert, nimmt sie diese Ethnien nicht ernst, denn selbst würde sie nach diesem „Wissen“ nie handeln. Das ist der Lakmustest. Seine Zahnschmerzen lässt sich keiner nach irgendwelchem „alten Wissen“ behandeln, im Gegenteil, Indigene kommen zum „westlichen“ Zahnarzt, wenn sie die Möglichkeit haben.
„Wissenssysteme indigener Völker dürften nicht in eine Reihe mit Homöopathie oder Esoterik gestellt und damit gleichgesetzt werden“ sagen Wokes. Warum nicht ? Das sind nach woker Lesart „Wissens“-Systeme indigener westlicher Völker.
Oft wird der Begriff „Narrativ“ missbraucht, um Wissenschaft mit „altem Wissen“ wie z.B. religiösen Glaubenssystemen auf eine Stufe zu stellen und sie vor kritischer Begutachtung zu schützen.
»Edmüller gesteht zu, dass die Themenwahl bei wissenschaftlicher Forschung bei anderer personeller Aufstellung der Forschenden (statt männlicher Dominanz) anders sein könnte – “aber doch nicht die Ergebnisse der Wissenschaft”.«
Ganz recht. Denn die Ergebnisse werden rund um die Welt und immer wieder nach strengen Kriterien geprüft, für die unter Wissenschaftlern weitgehend Konsens besteht !